Rosenherz-berbKopie
anders. Wir
haben unsere Kleider geschnappt und sind aus der Wohnung gestürzt.
Erst im Treppenhaus haben wir uns angezogen. An der Haustür hat
Ortmann uns zurückgehalten. Er sagte, wir hätten einen Fehler
gemacht. Wir müssten es aussehen lassen wie einen Raubmord, er wolle
nochmal hochgehen. Stickler hat das nicht ausgehalten, er hat sofort
das Weite gesucht, er hat geschlottert vor Angst. Aber ich habe unten
im Treppenhaus auf Ortmann gewartet. Ich hörte Geräusche aus der
Wohnung. Ich wurde immer nervöser. Es war bestimmt eine
Viertelstunde vergangen, als plötzlich die Haustür von außen
geöffnet wurde.»
«Und
dort stand dieser Mann», sagte Marthaler und wies mit dem Kopf auf
Fausto Albanelli.
«Ja.
Wir waren beide erschrocken. Er hat mir zugenickt, dann ist er an mir
vorbei nach oben gegangen. Ich habe gebetet, dass er und Ortmann
sich nicht auf der Treppe begegnen. Aber es ist gutgegangen. Fünf
Minuten später kam Ortmann. In der einen Hand hatte er einen Beutel
mit Schmuck und Geld. In der anderen hatte er zwei Bilder.»
«Die
beiden Zeichnungen von Paul Klee?»
Lichtenberg
schaute Marthaler erstaunt an. «Davon wissen Sie? Wir haben uns
damals gewundert, warum von den Bildern nie die Rede war. Ortmann
hatte ja darauf spekuliert, dass ihr Fehlen sofort bemerkt würde.
Und dass deshalb sein Versuch, das Ganze wie einen Raubmord aussehen
zu lassen, gelingen könnte. Aber die Bilder schien überhaupt
niemand zu vermissen. Offensichtlich wusste niemand, dass es sie
gab.»
«Bis
jetzt», sagte Marthaler. «Und jetzt sind die Zeichnungen Ihnen
zum Verhängnis geworden.»
«Wirsind
zu Fuß zu mir nach Hause gelaufen. Erst dort habe ich gesehen, dass
Ortmann im Gesicht eine lange, tiefe Wunde hatte. Ich habe ihn
gefragt, was er gemacht hat. Er wirkte vollkommen ruhig. Er erzählte,
er habe Karins Schlafzimmer verwüstet. Er habe den
Kleiderschrank ausgeräumt und den Inhalt der Schubladen auf dem
Boden verstreut. Er habe sich an einer der Schranktüren verletzt...
Den Rest kennen Sie. Ich bin vernommen worden. Stickler und
Ortmann haben ausgesagt, dass wir die ganze Nacht bei mir zu Hause
waren. Und um die Sache wasserdicht zu machen, haben wir uns zwei
Mädchen gekauft, die dasselbe behauptet haben.»
«Ich
frage mich, ob Sie jemals eine Frau hatten, die Sie nicht kaufen
mussten?», sagte Marthaler.
Lichtenbergs
Lider zuckten. Offensichtlich hatte ihn die Frage an einer
empfindlichen Stelle getroffen. Als er schließlich antwortete,
klang es, als habe er den Kampf gegen die Wahrheit aufgegeben. «Zu
zwei Dingen hat es in meinem
Leben
nicht gereicht: zum Künstler und zu einer Familie. Und so wie ich
jetzt aussehe, wird sich mir auch keine Frau mehr nähern, die ich
nicht dafür bezahle.»
«Darf
ich fragen, wie es zu Ihren Verletzungen gekommen ist?»
«Sagt
Ihnen der Name Henri Matisse etwas?»
«Wenn
Sie den Maler meinen, sicher!»
«In
den letzten Lebensjahren des Künstlers hatte sich mein Vater mit ihm
angefreundet. Matisse hatte ein kleines Atelierhaus in den
Bergen oberhalb von Nizza. Als er dort auszog, hat es ihm mein Vater
mitsamt einiger Bilder abgekauft. Ich habe das Häuschen von meinen
Eltern geerbt. Jedes Jahr im Frühjahr habe ich dort ein paar Wochen
verbracht. Manchmal kam Ortmann für ein, zwei Tage, um mit mir
ein paar geschäftliche Dinge durchzusprechen und sich
Unterschriften geben zu lassen. Auch am 26. März 1989 waren wir
dort. Es war der Ostersonntag, und ich bin früh ins Bett gegangen.
Ortmann saß noch im Sessel, trank Wein und rauchte seine Pfeife. Er
ist eingeschlafen. Die brennende Pfeife fiel zu Boden, der
Teppich fing Feuer, und binnen kurzem breiteten sich die Flammen aus.
Wir haben es beide geschafft, unverletzt ins Freie zu kommen,
aber ich wollte die Bilder retten. Ortmann versuchte mich abzuhalten,
die Gemälde seien gut versichert, sagte er. Ich habe das brennende
Gebäude trotzdem noch einmal betreten. Fast im selben
Augenblick ist ein Deckenbalken auf mich herabgestürzt und hat mir
die Beine zerschmettert. Ortmann hat es im letzten Moment geschafft,
mich an den Armen nach draußen zu ziehen. Ich hatte am ganzen Körper
schwere Verbrennungen.»
Marthaler
nickte. «Karin Rosenherz ist nicht erwürgt, sondern erstochen
worden, das wissen Sie. Wenn Ihre Geschichte stimmt, dann war
die Frau nicht tot, als Sie zu dritt die Wohnung verlassen haben.»
«Ja.
Aber damals wusste ich das nicht. Ich habe zehn Jahre lang geglaubt,
Mitschuld an Karins Tod zu
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