Rosenherz-berbKopie
beschlagene Fenster geöffnet, und der Kopf des
Bäckers erschien. Als Harry erkannte, wen er vor sich hatte,
verschwand das Lächeln von seinem Gesicht. «Lange nicht gesehen.
Wie geht's? Ich ... ich hab im Fernsehen gehört, was passiert ist.»
Marthaler
seufzte. «Die Leute aus der Klinik können mir nichts sagen, weil
sie selbst nicht wissen, was wird. Man kann mir keine Hoffnung
machen. Das ist im Moment das Schlimmste.»
Beide
schwiegen. Schließlich fragte Harry: «Wie immer?»
«Ja,
bitte.»
Der
Bäcker verschwand kurz. Dann kam er wieder und hatte ein
Maisbrötchen und ein Laugencroissant in der Hand. Beides verstaute
er in einer Papiertüte, die er aus dem Fenster reichte.
«Schön
fettig, wie immer ...», sagte er.
Marthaler
versuchte ein Lächeln.
«Wenn
ich irgendwas tun kann ...»
Es
war eine hilflose, aber gutgemeinte Geste.
«Danke»,
sagte Marthaler, «aber ich muss jetzt abwarten. Kann ich später
bezahlen? Ich habe mein Portemonnaie im Auto liegenlassen.»
«Kein
Problem», sagte Harry.
Marthaler
ging zurück zum Weißen Haus, wo er sein Auto geparkt hatte. Er
stieg ein und blieb eine Weile sitzen. Dann öffnete er die Tüte
und riss ein Stück von dem noch warmen Laugenhörnchen ab. Er
dachte daran, wie Tereza reagiert hatte, als sie das erste Mal eines
von Harrys Croissants probiert hatte: «Puhh», hatte sie
gesagt, «muss ich einen Tag hungern jetzt. Aber schmeckt
ferkelgut.» - «Es heißt saugut, nicht ferkelgut», hatte
Marthaler lachend erwidert. - «Ich weiß», hatte Tereza gesagt,
«aber wollte ich nicht so hart ausdrücken.»
Marthaler
startete den Motor. Über die Saalburgallee fuhr er stadtauswärts.
Inzwischen hatte der Berufsverkehr eingesetzt. Als sich ein
Notarztwagen mit eingeschaltetem Martinshorn näherte, musste er am
Fahrbahnrand halten. Kaum hatte das Rettungsfahrzeug überholt,
drängten einige Pkw in die entstandene Schneise, um schneller
voranzukommen.
Am
Festplatz angekommen, bog er nach rechts in die Ostparkstraße.
Auf dem Seitenstreifen stellte er den Wagen ab. Er überquerte die
Fahrbahn und betrat den Park. Überall unter den Bäumen und auf den
Rasenflächen hockten Kaninchen. Im Laufe der nächsten Stunde
würden sie im Unterholz verschwinden. Drei Frauen in Sportkleidung
begegneten ihm. Sie unterhielten sich lautstark und stießen die
Spitzen ihrer Teleskopstöcke entschlossen auf den Boden. Kurz
darauf wurde er von einem alten Mann überholt, der nur mit
einer kurzen Jogginghose und Laufschuhen bekleidet war. Die Haut
seines Oberkörpers war gebräunt und faltig. Der Alte schnaufte so
laut, dass Marthaler verwundert den Kopf schüttelte.
Er
kam an der Schwedlerbrücke vorbei, einer mächtigen, über hundert
Jahre alten Stahlkonstruktion, die sich vom Ostpark bis auf die
andere Seite der breiten Gleisanlagen der Güterbahn wölbte und nur
von Fußgängern benutzt werden konnte. Auf den unteren Stufen der
Brückentreppe saßen zwei Junkies, von denen sich der eine gerade
den Arm abband, während der andere eine Spritze aufzog. Sie
schauten nicht einmal auf, als Marthaler an ihnen vorbeiging.
Links
neben dem Containerdorf befand sich ein Kiosk, dessen Rollläden
noch heruntergelassen waren. Davor ein paar Tische und Stühle.
Einige Männer hatten sich dort versammelt, sie hielten
Bierdosen in den Händen und stritten miteinander.
Marthaler
hatte den Eingang zum Gelände der Unterkunft erreicht und blieb
stehen, um sich zu orientieren. Als sich plötzlich eine tiefe
Stimme hinter ihm meldete, drehte er sich erschrocken um.
«Ich
bin der Büffel.»
Marthaler
trat einen Schritt zurück. Vor ihm stand ein fast zwei Meter großer
Mann, der viel zu dick angezogen war. Sein Kopf wurde bedeckt von
einer Fellmütze, unter der sein langes vernlztes Haar
hervorschaute. Er trug ein Lederwams, eine fleckige schwarze Hose
und an den Füßen schwere Arbeitsschuhe. In jeder Hand hielt
er eine prall gefüllte Plastiktüte. Der Gestank, der von ihm
ausging, nahm Marthaler den Atem.
«Ich
bin der Büffel», sagte der Mann noch einmal. Dann machte er
wankend einen Ausfallschritt.
Marthaler
klopfte an eine Tür mit der Aufschrift «Büro». Als niemand ihn
bat einzutreten, klopfte er noch einmal, nun schon heftiger, dann
drückte er die Klinke. Die Tür war abgeschlossen.
«Was
soll das?», rief eine wütende Stimme aus dem Inneren des
Büros. «Ruhe, da draußen! Verschwindet gefälligst!»
Marthaler
erkannte die Stimme des jungen Mannes, mit dem er am späten
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