Rosenherz-berbKopie
nachts von einem schweren Metalltor
verschlossen.
Auf
der Straße wartete bereits eine Gruppe von knapp zwanzig Männern
und Frauen. Ein wenig abseits stand ein dünnes Mädchen, das drei
Hunde an einer Leine hielt. Marthaler wurde misstrauisch
beäugt. Es wurde kaum gesprochen. Ein Mann lag in seinem Schlafsack
direkt vor dem Eingang. Er wurde von einem anderen unsanft geweckt.
Für 50 Cent würden sie alle gleich ein Frühstück bekommen, das
hier jeden Morgen ab kurz nach acht ausgegeben wurde.
Am
sich öffnenden Tor erschien das breite Gesicht einer vielleicht
fünfunddreißigj ährigen Frau. Sie war mit Jeans und einem dünnen
Pullover bekleidet. Sie lächelte ihren Kunden zu. Marthaler hörte
unter den Obdachlosen ein zufriedenes Raunen: «Die Steffi hat
Dienst.»
Er
wartete, bis der erste Andrang vorüber war. Die Frau sah ihn
neugierig an. «Kann ich Ihnen weiterhelfen?»
Als
er sich vorgestellt hatte, streckte sie ihm ihre Hand entgegen und
sagte: «Steffi.»
Marthaler
nickte. «Ja, Sie sind offensichtlich beliebt. Ich habe Ihren Namen
gerade schon gehört. Die Leute waren froh, Sie zu sehen.»
Steffi
sah ihn erwartungsvoll an. Marthaler beschloss, ohne Umschweife zur
Sache zu kommen. «Ich suche jemanden. Vielleicht kennen Sie ihn. Er
wird der kleine Bruno genannt.
Ich
war eben bereits im Ostpark. Dort habe ich erfahren, dass er hier
eine Freundin haben soll.»
Steffis
Augen blitzten. Ihre Miene zeigte eine Mischung aus Freude und
Belustigung.
«Mit
wem haben Sie gesprochen?»
«Zuerst
mit einem Mann namens Vöckler. Ein ... nun, sagen wir ... ein etwas
seltsamer Typ. Jedenfalls hat er sich hartnäckig geweigert, mit mir
zu sprechen.»
Steffi
wiegte ihren Kopf. «Vöckler ist nicht verkehrt. Aber er ist noch
nicht lange dabei. Er ist jung und noch ziemlich unsicher. Er findet
nicht immer den richtigen Ton. Hat Angst, etwas falsch zu machen,
und begeht vielleicht gerade deshalb noch manche Fehler.»
«Das
ist freundlich ausgedrückt», sagte Marthaler. «Dann habe ich mit
einem Mann gesprochen, der sich nannte. Er
sagte, der kleine Bruno habe hier eine Freundin.»
«Kommen
Sie», sagte Steffi, «lassen Sie uns ein paar Schritte durch die
Sonne laufen. Solange hier gefrühstückt wird, werde ich nicht
unbedingt gebraucht. Ich sage nur kurz drinnen Bescheid.»
Marthaler
wartete auf der Straße. Nach seiner Erfahrung mit Vöckler war er
froh, auf jemanden zu treffen, der weniger verstockt war.
Als
Steffi wieder herauskam, hatte sie eine Baseballkappe aufgesetzt,
unter der ihr Gesicht noch ein wenig runder wirkte.
Nebeneinander spazierten sie langsam in Richtung Osthafen.
«Entschuldigen
Sie, wenn ich ein wenig dränge», sagte Marthaler. «Aber es kann
sein, dass der kleine Bruno in Gefahr schwebt. Ich muss ihn
finden. Diese Freundin, die er hier haben soll ...»
«Das
bin ich», sagte Steffi.
Marthalers
Verwunderung hätte nicht größer sein können: «Sie sind
die Freundin des kleinen Bruno?» «Was erstaunt Sie daran?»
«Nun
ja, ich kenne Bruno Kürten zwar nicht, aber er hat lange Zeit im
Gefängnis gesessen. Er ist ein Berufskrimineller. Soviel ich
gehört habe, soll er in einer ziemlich schlechten Verfassung sein.
Und wenn ich Sie anschaue ...»
«Ja?»
«Nun,
Sie sind sicher dreißig Jahre jünger als er. Sie wirken so
... so frisch! Ich weiß nicht, wie ich es anders nennen soll.»
Steffi
lachte. «Sie müssen es nicht anders nennen. Frisch ist ein schönes
Wort. Was wollen Sie von Bruno?»
Marthaler
zögerte. Er war ihr eine Erklärung schuldig, durfte aber nichts
über den Hintergrund seiner Nachforschungen preisgeben. «Es
geht um die Ermittlung in einem schweren Verbrechen. Bruno scheint
etwas über die Tater zu wissen. Und wenn meine Informationen
stimmen, fühlt er sich deshalb von ihnen bedroht.»
Das
Gesicht der Sozialarbeiterin verfinsterte sich. «Geht es um den
Überfall auf den Kunsttransport?»
Marthaler
schwieg.
«Okay,
ich verstehe», sagte sie. «Sie dürfen nichts sagen. Ich weiß
über all das nichts. Dass ich seine Freundin bin ... nun, das ist
ein Scherz zwischen uns. Bruno ist ein aufgeschlossener Typ; es
ist leicht, ihn zu mögen. Er ist in den letzten Monaten, seit er
aus dem Knast gekommen ist, öfter hier aufgetaucht, hat hier
gegessen und sich geduscht. Schlafen kann man bei uns nicht;
wir sind nur eine Tagesunterkunft. Ich war freundlich zu ihm;
und er hat gesagt: meine Freundin.> Mehr steckt
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