Rosenherz-berbKopie
dass seine Hände zitterten. Er fühlte sich nackt. Wie
unsittlich berührt. Es kam ihm vor, als gebe es nichts, was man
nicht über ihn wusste. Demnächst würde er die Rollläden
herunterlassen müssen, sobald er nach Hause kam. Leute wie diese
Reporterin kannten keine Grenzen. Es war ihnen egal, was sie
anrichteten. Sie waren bereit, alles in den Schmutz zu ziehen.
Marthaler
fragte sich, wie jemand so werden konnte. Er stellte sich vor, dass
Gaby Heinze in den Kindergarten und zur Schule gegangen war. Sie
hatte gespielt, getanzt und gelacht. Man hatte ihr Märchen
vorgelesen, und sie hatte mit anderen Kindern Lieder gesungen. Im
Religionsunterricht hatte sie gelernt, dass es einen Unterschied
zwischen Gut und Böse gab. Sie hatte Gedichte gelesen und Bilder
angeschaut.
Das
alles hatte nichts genützt. Aus ihr war ein ganz und gar roher
Mensch geworden. Die Verlogenheit war ihr zur zweiten Natur
geworden. Vielleicht konnte sie längst nicht mehr unterscheiden
zwischen Wahrheit und Lüge. Nicht umsonst hatte sie Arne Grüter
erwähnt; sie gehörte zur selben Kategorie. Egal, was sie
taten, diese Menschen waren im Reinen mit sich. Sie brauchten nicht
einmal Befehle, um etwas Schlechtes zu tun. Sie taten es von sich
aus, und sie taten es gerne.
Auf
dem Flur begegnete ihm Kerstin Henschel.
«Robert!
Wo hast du gesteckt? Keiner weiß, wo du dich rumtreibst. Wie geht's
dir?»
Marthaler
hob die Hand und ging an ihr vorbei. «Nicht jetzt», sagte er.
«Später! Oder warte ... Sagt dir das Wort
etwas?»
Kerstin
Henschel sah ihn an. Ihre Stirn lag in Falten: «Was soll das sein?
Ein Duschgel?»
«Ich
weiß es nicht. Mir ist, als hätte ich das Wort schon einmal
gehört... im Zusammenhang mit unserer Arbeit. Ich zermartere mir
den Kopf, aber ich komme nicht drauf.»
«Tut
mir leid, Robert, wenn mir etwas einfällt, sage ich es dir.»
Er
betrat das Vorzimmer seines Büros. Auch seine Sekretärin
bekam nur eine kurze Antwort auf ihre besorgte Nachfrage.
«Elvira, entschuldige, wenn ich dich im Telegrammstil
abspeise. Es gibt nichts Neues von Tereza. Gegen Mittag werde ich
noch einmal versuchen, in der Klinik jemanden zu erreichen. Mir
selbst geht es nicht besonders gut, aber ich bin arbeitsfähig.»
Er
stürmte in sein Büro und ließ sich in den Schreibtischsessel
fallen. Er schaltete den Computer ein. Während er wartete, dass der
Bildschirm sich aufbaute, wählte er die Nummer der Tagesstätte in
der Hagenstraße. Steffi war sofort am Apparat.
«Sie
schon wieder», sagte sie, als Marthaler sich meldete.
«Ja,
ich habe noch etwas vergessen.» «Machen Sie's kurz. Ich hab
sowieso schon schlechte Laune.»
«Wegen
mir?», fragte er.
«Nein,
wegen mir. Ich hätte Ihnen keine Auskunft geben sollen. Jetzt habe
ich ein schlechtes Gewissen. Aber es liegt an mir, nicht an Ihnen.»
«Wenigstens
haben Sie ein Gewissen», sagte Marthaler, der an die
Fernsehjournalistin dachte.
«Was
wollen Sie?»
«Hat
jemand nach dem kleinen Bruno gefragt, bevor ich vorhin bei Ihnen
war?»
«Wer
sollte nach ihm gefragt haben?» «Ein Polizist.»
«Nein,
außer mit Ihnen habe ich mit keinem Polizisten gesprochen.»
«Oder
jemand, der sich als Polizist ausgegeben hat?» «Nein, es war
niemand hier.»
«Gut.
Sollte sich noch jemand nach Bruno Kürten erkundigen, geben
Sie bitte keine Auskunft. Und sagen Sie keinesfalls, dass ich
bei Ihnen war. Haben Sie das verstanden?»
«Sonst
noch etwas?»
«Nein.
Aber es ist wichtig, dass Sie sich daran halten.» «Ja», sagte
sie. «Ich werde sowieso mit niemandem mehr über ihn sprechen.»
Sie legte auf.
Marthaler
tippte das Wort «Rosenherz» in die Maske der Suchmaschine. Es
wurden 48000 Treffer gemeldet. Er überflog die Seiten mit den
Suchergebnissen. Bevor die Meldung kam, dass es sich bei allen
weiteren Treffern um Wederholungen handelte, hatte er die
Nummer 736 erreicht. 736-mal kam das Wort «Rosenherz» im Internet
in wechselnden Zusammenhängen vor. Es war unmöglich zu sagen,
welche dieser Nennungen etwas mit dem Zettel des kleinen Bruno zu
tun hatte. Marthaler nahm einen Kugelschreiber und legte einen
Stapel Schreibpapier neben das Keyboard. Dann begann er die ersten
Seiten aufzurufen.
Kerstin
Henschels spontaner Gedanke war so falsch nicht gewesen. Im
Westerwald gab es einen Laden, der Natur-Kosmetika vertrieb und der
den Namen «Rosenherz» trug. Er notierte sich den Namen der
Inhaberin und die Adresse. Eine Volksmusikgruppe aus Osterreich
hatte sich ebenfalls so
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