Rosenherz-berbKopie
Pizza geschnitten und auf einem
Holzbrett in die Mitte des Tisches gestellt.
«Aber
du kanntest den jungen Mann nicht?», fragte Anna.
Albanelli
schüttelte den Kopf. «Nein, das nicht...» «Aber ...?»
«Aber
... ich habe ein Foto von ihm.»
Anna,
die sich gerade ein Stück Pizza in den Mund schieben wollte,
hielt mitten in der Bewegung inne. Sie starrte Albanelli ungläubig
an. «Kannst du das bitte noch einmal sagen?»
Wortlos
ging er nach nebenan in die Werkstatt. Durch die offene Tür der
Teeküche sah Anna, wie er eine Trittleiter vor das Magazinregal
bugsierte. Er stieg hinauf und öffnete eine der Schubladen in der
obersten Reihe.
Als
er wieder vor ihr stand, hielt Fausto Albanelli einen dicken Umschlag
in der Hand.
«Was
ist das?»
«So
drei Wochen nach dem Mord klingelt es an unserer Tür. Vor mir steht
der Verlobte von Fräulein Niebergall. Er drückt mir diesen Umschlag
in die Hand und bittet mich, ihn aufzubewahren. Es seien Unterlagen,
die ihr gehört hätten - Privatkram, sagt er - und die ihr
Vater bei mir abholen werde. Er selbst wollte mit der ganzen Sache
nichts mehr zu tun haben.»
«Aber
du hast ihn ihrem Vater nicht gegeben?»
«Er
hat ihn nicht abgeholt. Einen Monat später war der Mann in
Frankfurt, um die Wohnung auszuräumen. Ich bin ihm vor dem Haus
begegnet und habe ihm gesagt, dass ich ein Päckchen für ihn hätte
und dass ich es auf die Treppe legen würde. Das habe ich getan. Dann
war er wieder verschwunden, die Wohnung war leer, aber der
Umschlag lag immer noch dort. Irgendwann habe ich ihn wieder
genommen. Zuerst habe ich ihn unter mein Bett gelegt, dann habe
ich ihn in den Keller gebracht. Mir ging es wie dem Verlobten: Auch
ich wollte mit der Sache nichts mehr zu tun haben. Es ist nie jemand
gekommen, der das Päckchen haben wollte.»
«Also
hast du es geöffnet?»
«Nein.
Ich habe es all die Jahre mit mir herumgeschleppt. Immer, wenn ich
umgezogen bin, fiel es mir wieder in die Hände. Ich habe den Inhalt
nie angerührt. Bis Ende vorigen Jahres ...»
Anna
schluckte den Rest ihrer Pizza hinunter und wischte sich über den
Mund. «Bis ich dich angerufen und nach Karin Rosenherz gefragt
habe.»
«Ja.»
«Du
hast den Umschlag geöffnet und ein Foto entdeckt, auf dem der junge
Mann zu sehen ist, dem du in der Mordnacht an der Haustür
begegnet bist.»
«Ja.»
«Aber
du bist nicht zur Polizei gegangen, um ihnen das Foto zu zeigen. Um
ihnen zu sagen: Das ist der Mann, der Karin Rosenherz umgebracht
hat.»
Albinelli
schaute sie an, als komme ihm allein die Vorstellung absurd vor.
«Warum hätte ich das tun sollen? Sie haben sich damals nicht
für meine Aussage interessiert, warum hätten sie mir jetzt, nach
fast vierzig Jahren, mehr Glauben schenken sollen?»
«Dann
zeig endlich her!», sagte Anna und nahm ihm den Umschlag aus der
Hand.
«Unser
Kind ist tot», sagte Marthaler, als Anna mit ihrem roten
Rennrad vor seiner Wohnungstür stand. Sie schob das Olmo in die
Diele und lehnte es an die Wand. Dann folgte sie Marthaler ins
Wohnzimmer. Er stand mitten im Raum und schaute sie aus leeren Augen
an. Seine Haut war grau, die Augäpfel gerötet.
Anna
nahm ihren Rucksack ab und stellte ihn neben die
Akten,
die sich noch immer auf der Couch stapelten. Sie ging zu Marthaler
und nahm ihn in den Arm. Augenblicklich begann er zu schluchzen.
Es
dauerte lange, bis er sich beruhigte. Schließlich wand er sich aus
ihrer Umarmung. «Entschuldige. Ich komme gerade aus der Klinik, ich
habe es eben erst erfahren.»
Anna
nahm ihn bei der Hand und führte ihn auf den Balkon. «Setz
dich», sagte sie, «ich mache uns einen Tee.»
Als
sie mit der Kanne und zwei Tassen zurückkam, sah er sie mit einem
schmerzlichen Lächeln an.
«Aber
Tereza geht es besser. Zum ersten Mal haben sie gesagt, dass es
bergauf mit ihr geht. Ihr Zustand hat sich stabilisiert. Sie
glauben nicht mehr, dass sie ... Es besteht keine Lebensgefahr mehr.»
«Das
ist schön», sagte Anna. «Willst du mir erzählen, was passiert
ist?»
Marthaler
schwieg lange. Er presste die Lippen zusammen. Er kämpfte mit sich.
Mehrmals sah es so aus, als wolle er etwas sagen. Unruhig rutschte er
auf seinem Stuhl herum. Schließlich senkte er den Blick und
begann stockend zu sprechen.
«Sie
haben es von Anfang an gesagt ... Es war immer die Gefahr, dass sie
das Kind nicht würden retten können ... Die Sauerstoffversorgung
hat nicht ausgereicht. Tereza ist die ganze Zeit künstlich beatmet
worden. Aber für das ... für das
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