Rosenmörder (German Edition)
Schürze
herum und strich das Kopftuch glatt.
Der Bauernhof stammte aus einer anderen Zeit. Er war ein Haus wie
eine Burg, erbaut aus dem Gestein der Gegend, verwittert über die Jahre durch
Wind, Sonne, Regen und Schnee zu einer undefinierbaren Farbe zwischen Mausgrau
und Maisgelb. Tief drunten lag er in einer Mulde, verschneite Wiesen zu seinen
Füßen und den dunklen Bergwald im Rücken. Aus dem Kamin des Hauptgebäudes stieg
Rauch in den Nachthimmel. Ein schnell fließender, eisiger Bach mäanderte ein
paar Meter talabwärts vorbei.
Magda hörte sein Plätschern, als sie das Foto, das sie ständig mit
sich herumtrug, aus der Schürzentasche zog. Ihre Tochter. Liebevoll strich sie
über das Bild. Es zeigte ihr Madl, das da oben schlief, als Schulanfängerin mit
einer riesigen Tüte im Arm und war schon recht vergilbt. Die Einschulung war
nach der Geburt des Kinds der schönste Tag in ihrem Leben am Hof gewesen. Ihr
Mann, der Bauer, hatte keine Zeit gehabt. Zwei dünne Tropfen machten sich auf
den Weg vom Handgelenk zu den Fingerspitzen. Rasch steckte die Frau das Foto
wieder ein.
Magda war einmal eine begehrte Dorfschönheit gewesen. Groß,
hellbraunes Haar, die Figur proportioniert wie eine Sanduhr. In den Jahren
ihrer Ehe hatte ihre Erscheinung an Strahlkraft verloren. Das Haar war von
grauen Strähnen durchzogen, tiefe Falten pressten ihre Wangen nach unten, sie
wog achtzig Kilo. In ein paar Jahren würde sie ihren fünfzigsten Geburtstag
feiern.
Magda machte einen langen Schritt zum Stall hin. Aus dem Augenwinkel
sah sie ein gleißendes Licht aufblitzen.
»Aaaaahhh!«, schrie sie auf.
Der Futtermischwagen raste aus dem Dunkel mit aufgeblendeten
Scheinwerfern von rechts heran. Auf dem Fahrersitz hinter der spiegelnden
Scheibe sah sie ihren Mann toben. »Pass doch auf, du blöde Kuh«, las sie von
seinen Lippen. Das Lippenlesen hatte sie gelernt in der Zeit mit ihm. Manchmal
sprach er den ganzen Tag kein Wort, und sie war froh über jede gehauchte Silbe.
Eilig verschwand sie im Stall, um mit zitternden Händen den Kühen
die Melkschläuche anzulegen und den Kälbern über den Kopf zu streichen. Sie
mochte den warmen Geruch ihrer Leiber.
Als ob nichts gewesen wäre, räumte ihr Mann den Mist weg und schob
den Tieren das Futter hin. »Diese verdammte Berufsschule sollte man in die Luft
sprengen«, rief er ihr zu. »Dauernd sind die Lehrlinge weg.«
Am Mittag bereitete sie das Essen für ihn, sich und das Madl zu. Es
gab Fleischpflanzl mit Kartoffelgurkensalat, zum Nachtisch Obstsalat mit Sahne.
Danach einen Kaffee für ihn. Es war Samstag, der 11. Dezember 1993.
Der Milliwagen kam und holte die Milch.
Die Frau hatte noch sieben Stunden zu leben.
Ihr Mann verbrachte den Nachmittag mit Holzmachen im Freien und
Maschinenpflegen im Werkstattraum. Sie reinigte die Melkmaschine, bezog mit dem
Madl die Betten in den Ferienwohnungen und wischte und säuberte. Danach
wechselten sie in den Vasen den künstlichen Almrausch gegen Kunststoffedelweiß
und Plastikenzian aus.
Von vier bis halb sechs wieder Stallarbeit. Die Frau ging ins Haus,
stellte sich kurz unter die Dusche und begab sich in die Küche. Um halb sieben
erwartete der Mann das Abendessen. Das Madl bezog solange die Betten in der
Ostwohnung über dem Bulldogschuppen, stülpte die Bordüren über die
Stofflampenschirme und zog die Fensterläden zu. Dann schloss sie den PC an. Die Gäste, die morgen kamen, hatten danach
verlangt.
»Kannst mir vielleicht helfen?«, brüllte der Mann durch den Flur.
»Ohne Lehrling bin ich aufgeschmissen.« Er hustete laut. Dann kam ein kaum
hörbares »Bittschön!«
Die Frau drehte die Platte mit dem Nudelwasser auf null und rückte
die Schinkenpfanne vom Herd. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und
warf einen Blick auf die Küchenuhr. Es war halb sieben.
»Pack mal mit an!«
Reifen sollte sie stapeln. Hinten an der Wand vom Bulldogschuppen. Die
Wand war voll dunkler Dellen und Kratzer, zur Hälfte war der Putz abgesprungen.
»Dass der Bulldog net andauernd an die Wand hinrennt«, erklärte ihr
der Mann. »So genau kann i des nie berechnen ohne Einweiser.«
Der Kofferradio auf dem Sitz neben ihm spielte ein Lied von Niki
Kirchbichler. »Wie schö-hön die Liab is«, ölte der Sänger. Die Frau wusste,
dass er auch die Gitarre dazu spielte. Sie blinzelte in das helle Kunstlicht
unter der hohen Decke. Die
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