Rosenmörder (German Edition)
Rückscheinwerfer des Traktors waren auf sie gerichtet.
»Also, du stellst di jetzt vor den Stapel«, schrie er nach hinten
gebeugt vom Fahrerstand herab. »Und sagst mir genau, wenn i nah genug dran bin.
Wenn i genau vor dem Reifenstapel steh. Und wo der Bulldog nimmer an die Wand
hinrennt.«
Der Motorlärm schluckte seine Worte. Sie hatte Mühe, den Bauern zu
verstehen.
Bei jedem Zentimeter, den der riesige grüne Bulldog rückwärts auf
sie zurollte, verstärkte sich das vage Angstgefühl, die beklemmende Vorahnung
in ihrem Kopf, verknotete sich ihr Magen. Sie versuchte, den Tumult in ihrem
Inneren zu dämpfen. Doch sie konnte das Gehirn nicht ausschalten.
Will er mir was antun? In den vergangenen Tagen hatte sie in einer
Atmosphäre ständiger Furcht, Bedrohung und Bestürzung gelebt. Sie schlang die
Arme um den Leib, nicht nur, weil sie fror.
Ihr Mann stellte einen Fuß auf das Trittbrett des Bulldogs und
beugte sich zu ihr. »Stell di vor den Stapel«, rief er. »I will sehen,
ob’s passt.« Dann stieg er wieder hinauf. Seine Gestalt erschien ihr riesig.
Aber es war sicher nur sein Schatten an der Wand, der ihr Angst machte.
Sie griff hinter sich. Krallte die Nägel in den obersten Reifen.
Wozu muss ich mich davorstellen, dachte sie noch.
Der Motorlärm schwoll bedrohlich an.
Magda spürte ein Zerren im Schlund und sah verschwommen den Traktor
näher kommen. Auf sie zu. Sein Schatten an der Wand gegenüber bildete ein
großes Kreuz. Sie wollte um Hilfe rufen. Sie hätte ja nur ein paar Schritte zur
Seite machen müssen. Doch sie war wie gelähmt und blieb stehen und reckte die
Arme dem grünen Ungeheuer entgegen. Als könnte sie es aufhalten. Es war, als ob
unsichtbare Kräfte eine ganze Wand auf sie zuschoben. Eine Wand, deren brutaler
Wucht sie nicht entkommen konnte.
Durch das hintere Kunststofffenster sah sie im Rückspiegel des
Bulldogs das Gesicht ihres Mannes. Nein, es war nicht sein Gesicht. Es war eine
teuflisch verzerrte Fratze.
Magdas Stimme verlor sich im Lärm des Motors. Hab ich’s doch
gewusst, dachte sie, er will mich umbringen. Noch hätte sie neben die Reifen
springen können und flüchten. Doch ihre Beine schienen nicht mehr zu gehorchen.
Ihr Verstand blieb stehen. Sie konnte nur mehr an ihre Tochter denken. Das Madl
befand sich im Stockwerk über ihr und drapierte die Bordüren. Magdas
verschwommener Blick glitt nach oben. Tränen rannen ihr über die Wangen. Ihre
Hand fuhr zur Schürzentasche. Das Foto wollte sie herausziehen. Ein letztes
Mal. Doch es war zu spät. Ihre Hand schaffte es nicht einmal mehr, das Foto zu
berühren.
Der Stahl des Traktors quetschte ihren massigen Körper gegen die
Wand und begann sie zu zermalmen. Ihr stimmloser Schrei erstarrte. Ihre Augen
traten hervor und wurden größer und größer in dem Maß, wie der Druck das Leben
aus ihrem Leib presste. Blut ergoss sich aus ihrem schweigenden Mund. Sie hörte
die Glocken unten im Dorf das Sieben-Uhr-Läuten anstimmen. Sie läuteten und
läuteten, und ihr schallendes Geläut drang in ihren Kopf, und sie sah das Madl
am Fuß der Treppe stehen. Keine zehn Meter entfernt. Das Madl kauerte sich mit
Augen, aus denen das Entsetzen rief, hinter ein Mäuerchen. Dann öffnete sich
Magdas Mund noch einmal zu einem Schrei, doch der Mund gab keinen Laut von sich
und hing offen, als ihr letzter Lebenshauch in kleinen Blasen aus dem kalten
Traktorschuppen emporstieg und lautlos in die Unendlichkeit getragen wurde.
Das Mädchen starrte auf das Erbrochene vor sich und die
Gallenflüssigkeit, die sich eine Handbreit von ihrem Gesicht entfernt auf dem
Betonboden ausgebreitet hatte. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie sich
übergeben müssen.
Während der Traktor ihre Mutter zermalmte, hatte sie sorgfältig
darauf geachtet, unsichtbar zu bleiben. Nun aber hatte sie das Bedürfnis,
hinauszurennen oder zu ihrem Vater hinzuspringen oder sich über ihre
zerquetschte Mutter zu werfen. Sie tat nichts von dem.
Das Mädchen rannte auf sein Zimmer, griff in die Geheimschublade und
riss den Brief auf, den sie seit zwei Wochen dort versteckt hielt. Keine Träne
trat aus den Augen, doch alles Blut war aus dem Gesicht gewichen, als das Madl
die Zeilen las, die ihr die Mutter hinterlassen hatte.
Sie hörte Geräusche von unten. Der Bulldog fuhr aus dem Schuppen.
Sie ging hinunter und wischte das Erbrochene weg. Der Vater sollte es
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