Rosenmörder (German Edition)
die
Polizei gerufen hatte.
»Und Sie haben nichts und niemanden gesehen?«
Der Mann war bleich. Sein zusammengefallenes Gesicht hatte sich zu
einer Maske verzogen. Er schaute angestrengt zu dem Russenhaus hinüber, hundert
Meter entfernt.
»Nein«, sagte er. Und noch einmal: »Nein.«
»Herr Ottakring?«
Etwas nagte oder zupfte an seinem Unterarm. Er drehte sich um.
Presse!
Die gesamte Mordserie war bereits mehrfach umgewälzt und beleuchtet
worden. Wie’s beim Fußball tausend Schiedsrichter unter den Lesern und an den
Stammtischen gab, ermittelten hier tausend Kommissare, einer gescheiter als der
andere. Im Grunde trugen die Reporter und Redakteure nicht zur Information
ihrer Leser bei, sie wussten schließlich nicht mehr als die Polizei. Es war
reine Sensationshascherei. Auf den Putz hauen.
Am ruhigsten verhielt sich immer noch die örtliche Presse, das
Oberbayerische Volksblatt. Heinrich Euser war es, der ihn am Ärmel zupfte und
aus seinem Kugelkopf heraus anlachte. Zuletzt waren sie sich beim Herbstfest in
einer Box vom Auerbräu gegenübergesessen und hatten eine Maß zusammen
getrunken.
»Was wollen Sie denn hier, Euser?«, rief Ottakring aus. »Dies hier
ist ein ganz normaler Einbruch. Wenn das bei Müller oder Huber ist, kommen Sie
doch auch nicht gleich angerannt.«
Euser steckte sein Diktiergerät wieder ein.
»Is aber nicht Müller oder Huber«, sagte er. »Is unser
Mordermittler.«
»Bleiben S’ erst mal draußen«, sagte Ottakring nicht unfreundlich.
»Wir sind selber grad erst heimgekommen.«
Er nahm Lola an die Hand und führte sie durch die Tür. Drinnen
schien alles unverändert. Auf den ersten Blick fehlte nichts, und beschädigt
war auch nichts.
»Schickt die Spurensicherung her«, ordnete er telefonisch an.
In einer Ecke blitzte etwas auf. Eine leere Patronenhülse. Er hob
sie auf, drehte und wendete sie.
»Neun-Millimeter-Parabellum. Aus einer Uzi, schätze ich«, sagte er
draußen zu Euser. »Da. Schauen Sie. Aber schreiben Sie nix drüber. Das ist
unsere Privatangelegenheit. Ich werd Sie dafür mit den Mordermittlungen auf dem
Laufenden halten.«
»Joe?«, hörte er Lola aus dem Haus rufen. »Willst mal kommen?«
Er brauchte nicht zu kommen. Lola kam im Trab durch die zerschossene
Haustür gelaufen und hielt ihm ein signalgrünes Kleidungsstück entgegen, einen
Pullover oder ein Sweatshirt.
»Das lag auf deinem Schreibtischstuhl im Arbeitszimmer«, rief sie.
Sie breitete es in der Luft aus und drehte es um. Ein Kinderpulli. Mit einer
Aufschrift am Rücken.
VIER
Am Freitag, nachdem sie sich bei Ottakring die Erlaubnis
für ihr Vorgehen geholt hatte, machte Eva M. sich auf den Weg zum
Grattenschlösschen. Sie fuhr einen unauffälligen, leicht verdreckten Golf aus
dem Rosenheimer Fuhrpark. Auf dem Beifahrersitz lag die E-Mail der
Ermittlerkollegen, die den Weg beschrieb und die Zielinfos enthielt. Sie hatten
wunderbar schnell ihre Ergebnisse geliefert.
Das Schlösschen stand mitten im Wald. Über dem ersten Stock erhob
sich ein seltsames Durcheinander von Türmen, Zinnen und Giebeln. Die Fassade
war von Steinornamenten übersät, mit gemeißelten Blumen, Löwen und Engelchen.
Es gab Balkone, Schießscharten, Wasserspeier und eine Sonnenuhr. Die
Morgensonne leuchtete tief und rot und warf lange Schatten über die
Rasenflächen. Angrenzend an die Westseite des Gemäuers hatte man eine annähernd
quadratische Schneise in den Wald geschlagen, an der Vorderseite etwas
eingebuchtet. Die Schneise war mit leuchtenden Rosen in den unterschiedlichsten
Arten und Farben bepflanzt.
Den beiden Wachen an der Einfahrt zum Anwesen waren über ihre
Ankunft informiert, und Eva M. wurde unkompliziert durchgewinkt.
Wie von selbst schwang das Eingangsportal zu dem Palais auf. Eine
düstere Frauengestalt mit schwarzen Kniestrümpfen und schwarzen Halbschuhen
geleitete sie über eine ausladende Marmortreppe mit bauchigen Balustern in den
Ostflügel der ersten Etage. Im Vorübergehen machte Eva M. zwei
Speiseräume, einen Salon und ein Musikzimmer aus, in dem ein schwarz glänzender
Flügel stand. Die Düstere brachte sie in eine freudlose Bibliothek mit
verschlossenen Schränken, die aus einem Harry-Potter-Film hätte stammen können.
In einer Ecke stand ein Eisenbehälter, der zum Aufbewahren von Holzscheiten
oder toten Fledermäusen diente. Auch hier, wie in den anderen Räumen, stand ein
bunter Strauß frischer Rosen.
Während Eva M. bei einem Espresso wartete, fragte sie sich, was
für
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