Rosenmörder (German Edition)
Es
roch förmlich nach Absicht. Aber warum?
Nach Zeugenaussage waren die Schüsse um zwanzig
Uhr zwei zu hören gewesen. Um zwanzig Uhr zehn war das Haus am Hochriesweg
umstellt, und eine Gruppe Beamter befand sich im Inneren. Der Landrover mit
Rosenheimer Kennzeichen und dem RUS -Aufkleber stand vor der Tür des Russenhauses. Die Motorhaube war
noch warm. Pistolnik öffnete die untere Wohnung beim ersten Läuten der Polizei.
Er hatte die schwarze Lederjacke noch nicht ausgezogen, die er schon im
Bernardiner angehabt hatte. Der Junge lugte hinter ihm hervor. Er trug einen
grünen Pullover mit kyrillischer Aufschrift.
Die obere Wohnung war leer.
Wo ist Lenya?, war die meistgestellte Frage an
diesem Tag.
Keine Ahnung, wo Lenya ist, äußerte sich
Pistolnik in hartem Deutsch. Sein Junge hielt die Beine des Vaters umklammert
und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Pistolnik zischte etwas auf Russisch,
und der Junge blieb still.
Pistolnik und Lenya hatten das sicherste Alibi,
das man sich vorstellen konnte. Sie waren zur Zeit der Tat gemeinsam mit
Ottakring und Lola in einem belebten Restaurant gewesen. Also – Pistolnik
konnte sich sicher fühlen.
Sie durchsuchten die untere Wohnung und öffneten
die obere. Sie durchstöberten Keller, Speicher und Garten. Lenya blieb verschwunden.
Der Durchsuchungsbeschluss lautete auf Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch.
Der Pullover gehörte dem Jungen. Der Bub hatte mehrere solcher Pullis, alle
grün und mit Aufschrift. Ja, einer fehlte eindeutig. Wie der in Ottakrings Haus
gekommen war, nein, davon hatte Pistolnik keine Ahnung.
Ottakring musste bald erkennen, dass es ihm
schwerfallen würde, den Knoten zu zerschlagen, der sich um ihn festgezogen
hatte.
Wie ein Lauffeuer hatten sich die Tat und der
Polizeieinsatz in Aschbach herumgesprochen. Im Hochriesviertel drängten sich
die Menschen. Stimmengewirr. Parkplätze wurden rar. Heinrich Euser war gewiss
unschuldig daran, dass das Ottakring-Haus am nächsten Tag in allen Zeitungen
Bayerns abgebildet war. Als ob jemand zwanzig Jahre lang im Keller versteckt
gehalten worden sei. Innerhalb eines Tages stand der Alltag der beliebten
Programmchefin und Moderatorin Lola Herrenhaus und ihres Ehemannes Josef
Ottakring im Interesse der Presse. Sie wurden um Interviews angefleht,
Fotografen überfielen sie mit Blitzlichtgewitter. Es war, als gäbe es keine
Mordserie und als wäre Ottakring nicht Chef der Sonderkommission. Oder als
wären die Morde automatisch gelöst, wenn man Lenya aufgreifen würde. Lenya
wurde zum Mörder stilisiert, nicht nur in der Presse.
Doch Lenya blieb verschwunden.
Er ist es noch heute.
Auf der anderen Seite erhöhte sich der Druck auf
Ottakring, die Mordserie zu lösen. Medien kennen kein Mitleid. Als Ottakring
bei mir war, sah ich in seinem Blick keine Panik. Vielmehr eine Mischung verschiedener
Gefühle, zu denen nicht zuletzt Verblüffung gehörte.
Ich habe in meiner Situation genügend Zeit zum
Überlegen. Immer wieder stelle ich mir die Frage, warum Kemal und ich Opfer
dieses wahnsinnigen Anschlags geworden sind. Der Täter sucht sich ausgerechnet
Ottakrings Hochzeit aus, schleicht sich in der Verkleidung eines
Gebirgsschützen ins Damenklo, tötet meinen Partner und schießt mich zusammen.
Und entkommt unerkannt. Eine Verwechslung? Ein Ehrenmord?
Ich habe Mühe, die allgegenwärtige Panik und den
schleichenden Wahnsinn dieser Ungewissheit zu bekämpfen. Kemal war als
Drogenfahnder auf eine heiße Spur gestoßen, die von Moskau aus über Wien bis
nach Amsterdam und London führte. Über mehr Details hat Kemal mich zu Lebzeiten
nie informiert. Und ich hatte den jetzigen Bürgermeister Wildschitz wegen des
Mordes an seinem Vorgänger verhört. Lächerlich, dahinter den Auslöser für das
Attentat zu vermuten.
Ich habe Ottakring gefragt, welchen Beweggrund er
hinter den Mobbingaktivitäten auf sich und seine Umgebung vermute. Bis hin zum
Mord an seinem Hund. Die Mafia ist so, habe ihm Eva M. gesagt. Sie will
Macht ausüben.
Und da suchen sie sich ausgerechnet den Leiter
der Mordkommission aus?
Wenn ich nur bald hier rauskäme!
Leise geht die Tür auf. Ich wende mich ab und
stelle mich schlafend.
Eine Hand legt sich auf meine Schulter.
Chili!
Ich spüre einen leichten Druck.
Chili!
Ich erwache aus meinem vorgetäuschten Tiefschlaf
und rekle mich herum.
Eva M.! Hallo.
Gut sieht sie aus mit ihrem blassen, besorgten
Gesicht und dem blonden Zopf, der ihr über die Schulter hängt. Was
Weitere Kostenlose Bücher