Rosenmörder (German Edition)
Getränkebestellung aufnahm, sah
Ottakring, wie Lola die Stirn runzelte. Sie musste etwas in seinem Rücken
bemerkt haben. Er ahnte den Grund und drehte sich nicht um. Er hob die
Augenbrauen und wartete ab.
»Die Russen«, sagte sie. »Deine beiden Freunde aus der
Nachbarschaft. Sie sitzen drei Tische von uns entfernt.«
Ottakring nickte. »Ich hab sie schon draußen gesehen.« Er saß
stocksteif auf seinem Stuhl.
»Hast du jemandem gesagt, dass wir ins Bernardiner gehen, Joe?«
»Niemandem. Selbstverständlich nicht. Ich hab angerufen und einen
Tisch reserviert, das ist alles.«
Die Getränke kamen, und sie prosteten sich schweigend zu. Ohne dass
sie es aussprachen, hatten sie ein Gespür dafür, wie unwohl sich der andere
fühlte.
Als sie die Speisekarten lasen, fragte Ottakring: »Haben sie uns
bemerkt?«
»Keine Ahnung. Glaub nicht.« Dann hob sie den Kopf. »Wäre es
möglich, dass unser Telefon abgehört wird?«
»Nein«, sagte er. »Ausgeschlossen.« Dafür hatte er rechtzeitig
gesorgt.
Das Abendessen wurde serviert. Lola hatte einen Chiemseezander im
Wurzelsud bestellt, Ottakring ein kleines Filetsteak vom heimischen Rind mit
kleinem Salat. Sie genossen das Mahl, waren aber ständig mit Augen und Ohren
drei Tische weiter.
Die Gespräche im Saal waren gedämpft, die Gäste in diesem Lokal
waren nie sehr laut. Drei Tische weiter wurde offenbar mit Absicht etwas lauter
gesprochen. Nicht so laut, dass Frau Bernardin sie auffordern würde, leiser zu
reden, aber laut genug, dass Ottakring die russischen Stimmen hören musste.
Sein Name war dabei deutlich zu verstehen. Und ihre Gesten und ihr Gelächter
waren eindeutig.
»Was trinken sie?«, fragte Ottakring, starr vor Zorn.
»Bier. Pils. Keinen Schnaps. Aber sie haben schon etliche geleert,
seit sie hier sind.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte er und reckte sich.
Lola reichte ihm die Hand über den Tisch. Er schien es nicht zu
bemerken. Hatte seine Ohren anderswo.
Sie legte ihre Hand auf seine Hand. »Joe … was hast du vor? Du
hast doch was vor.«
»Nichts.«
Sie beugte sich vor. »Joe, vergiss es. Lass es sein. Du machst nie
nur nichts.« Ihr Klappenschmuck glänzte gefährlich.
Er küsste lächelnd ihre Hand, schob den Stuhl zurück und war
aufgestanden, bevor sie noch etwas sagen konnte. Er drehte sich zu dem
Russentisch. Dabei warf er einen Blick auf die Uhr. Sie zeigte zwanzig Uhr
einundzwanzig.
Seine Pose wirkte so bedrohlich, dass sofort alle Gespräche
verstummten. Auch drei Tische weiter. Sehr ruhig, fast gemütlich schritt er den
Gang zwischen den Tischen entlang, Lenya und Pistolnik im Blick behaltend.
Lenya verzog höhnisch das Gesicht. Doch die stocksteife Haltung der beiden
verriet ihre Anspannung. Ottakring sah Lenya, den er für den Gefährlicheren
hielt, von oben herab an und stellte fest, dass sein Gesichtsausdruck wachsamer
wurde und die Augen größer. Panik? Wie ein Wiesel, das in seiner Höhle gestellt
wurde.
Er sagte kein Wort. Er griff mit der Hand an sein Holster, ließ das
Magazin aus der P7
herausschnappen und führte es ihnen kurz und verdeckt vor. Dann ließ er mit dem
Daumen eine der messingfarbenen Neun-Millimeter-Patronen herausspringen, drehte
sie sanft zwischen den Fingern hin und her und knallte sie, mit dem Projektil
nach oben gerichtet, aufrecht neben Lenyas Hand auf die Tischplatte. Beide
Männer fuhren zusammen wie bei einer Explosion. Ottakring sah zu Lenya, dann zu
Pistolnik und verzog den Mund zu einem hässlichen Grinsen. Seine Zähne
blitzten, als er sich gemächlich umwandte und dem Hinweis »Toilette« folgte.
Bevor er verschwand, warf er einen Blick zu Lola zurück und nickte ihr
aufmunternd zu.
Er durchquerte einen Nebenraum, in dem drei Landfrauen Kränze
banden. Sein Inneres kochte. Mit voller Wucht schmetterte er die Faust gegen
den Türpfosten. Leise schrie er auf. Putz rieselte, im Nu schwoll die Hand an.
Die Wut war weitgehend verflogen, der Schmerz war da.
Eine Landfrau erschien in der Tür. »Is was passiert?«
»Naa, nix is passiert.«
»Aber des hat do so gracht?«
»Des muaß obm gwen sei. Hier hat’s net gracht.«
Das hätte noch gefehlt. Erste Hilfe am Männerklo durch eine Frau.
Eher hätte Ottakring noch Lenya erwartet.
Er überwand den Schmerz und ging zurück zum Gastraum. Der
Russentisch war leer. Lola schüttelte den Kopf und hob beide Hände. Dann
bemerkte sie seine Hand. Sie hatte Form und Farbe einer Riesenaubergine
angenommen.
»Vergiss es«, erklärte er.
Weitere Kostenlose Bücher