Rosenmunds Tod
er nicht? Immerhin war er Augenzeuge eines Mordes geworden. Machte er sich nicht sogar strafbar, wenn er sein Wissen für sich behielt?
Von einem vorbeikommenden Studenten schnorrte er sich eine Zigarette und ließ sich Feuer geben. In seinem Leben hatte er zuvor zwei Zigaretten geraucht, bei beiden war ihm entsetzlich schlecht geworden. Auch jetzt, bei der dritten, erging es ihm nicht anders, aber er bildete sich ein, dass das Nikotin seine flatternden Nerven beruhigte.
Schließlich gab sich Basti einen Ruck, trat die Kippe mit der Schuhsohle aus und enterte das Präsidium. Ein paar Leute liefen geschäftig durch die Halle, in einer Ecke entdeckte er eine kleine verglaste Kabine, in der ein muffiger Uniformierter den Empfangschef spielte.
»Was ist?«, fragte dieser, als sich Basti näherte.
»Wie komme ich denn zur Mordkommission?«
Der Beamte stutzte und sah ihn misstrauisch an. »Haben Sie einen Termin?«
»Nein. Aber ich möchte eine Aussage machen.«
Anscheinend überlegte der Mann, ob ihn dieser blasse, viel zu füllige Pennäler auf den Arm nehmen wollte, entschied sich dann aber, die gewünschte Auskunft zugeben.
»Zimmer 241, zweiter Stock. Da die Treppe hoch.«
»Danke«, nickte Basti und setzte sich erneut in Bewegung.
Die Stufen in die zweite Etage zogen sich; als er endlich den gewünschten Treppenabsatz erreicht hatte, schnaufte Basti erschöpft durch. Der Wegweiser an der Wand bedeutete ihm, dass er nach rechts musste.
Auf dem hinter Plexiglas eingelassenen Kunststoffschild neben Zimmer 241 stand KHK Pöppel, die zweite Zeile für einen möglichen weiteren Bürobesetzer war leer.
Basti schluckte noch einmal und klopfte.
Hinter der Tür ertönte eine undeutliche Stimme, Basti interpretierte den Urlaut als Aufforderung und trat ein.
»Tag. Sind Sie die Mordkommission?«
KHK Pöppel war ein Mann von fast sechzig Jahren, der Basti an Leibesfülle in nichts nachstand. Seinen Schädel kränzte ein spärlicher Rest an Haaren, der Großteil der Kopfhaut lag blank und sah aus wie frisch poliert.
»Kommt darauf an«, antwortete Pöppel freundlich. »Wenn wir einen Mord haben, dann ja.«
»Dann kann ich hier eine Aussage machen?«
»Im Prinzip ja. Worum geht es denn?«
»Na, um Mord.«
Pöppel verzog seine Nase. »Haben Sie einen Termin von uns bekommen?«
»Nein«, gab Basti zurück.
»Um welchen Fall geht es denn?«
»Um gestern Abend.«
Der Kripobeamte schwieg einen Moment und musterte seinen Besucher eindringlich. Er war schon lange genug in seinem Job, um sofort zu erkennen, dass Basti völlig neben der Spur stand. »Jetzt setz dich erst mal hin, mein Junge. Und mach die Tür hinter dir zu.«
»Danke«, meinte Basti und ließ sich erleichtert auf dem Besucherstühlchen nieder. Zum ersten Mal am heutigen Tag fühlte sich der Knoten in seinem Magen ein bisschen weniger fest an.
»Und nun erzähl mal«, forderte ihn Pöppel auf.
»Ich habe gestern Abend einen Mord beobachtet«, brach es sofort aus Basti hervor. »Mit meinen eigenen Augen.«
»Aha«, stellte Pöppel fest. »Wann und wo?«
»So um neun, halb zehn. In meinem Zimmer.«
Der Beamte runzelte die Stirn. »In deinem Zimmer ist ein Mord passiert?«
»Ach, nein«, jammerte Basti, dessen Nervenkostüm schon wieder dünner wurde. »Ich hab den Mord auf meinem Computer gesehen. Übers Internet.«
»Kannst du mir das mal in aller Ruhe erklären?«, bat Pöppel. »Im Augenblick versteh ich nur Bahnhof.«
Basti setzte zu einer Antwort an, aber mehr als ein Krächzen bekam er nicht aus dem Hals. Und dann flossen die Tränen, er schluchzte wie ein kleines Kind.
Pöppel ließ ihm ein paar Minuten Zeit. »Geht es wieder?«, fragte er schließlich.
»Ja«, schnaufte Basti und nahm dankbar das angebotene Papiertaschentuch.
»Dann versuch doch mal, von vorne zu erzählen, ja? Und lass dir ruhig Zeit.«
»Also, das war so«, schniefte Basti. »Ich hab gestern Abend gechattet, mit einem Mädchen. Und so nach einer halben Stunde hat sie abgebrochen und dann ist sie umgebracht worden.«
»Ich denke, du hast gesehen, wie es passiert ist?«, hakte Pöppel nach.
»Ja, hab ich auch. Sie hat eine Webcam, die sie eingeschaltet hatte. Ich hab sie die ganze Zeit gesehen, auch wie sie umgebracht wurde.«
»Ach so. Hatte mich schon gewundert.«
»Sonst hätte ich das ja gar nicht beobachten können«, bekräftigte Basti. »Sie ist aufgestanden und aus dem Zimmer gegangen. Kurze Zeit später hab ich sie wieder gesehen, da lag sie schon auf
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