Rosenmunds Tod
eingerahmter Urkunden, Auszeichnungen und Diplome, die mit Augenmaß und Wasserwaage an die Wände platziert worden waren. »Ganz schöne Latte.«
»Kleiner Tipp unter Kollegen«, sagte Gassel, während er es sich auf der schmalen Couch so bequem wie möglich machte. »Lass dich durch so etwas nicht beeindrucken, sonst trittst du den Leuten irgendwann nicht mehr unvoreingenommen entgegen.«
»Ist schon klar«, gab Schäfer leicht beleidigt zurück. »Trotzdem, wo der überall studiert hat.«
»Könnte auch dafür sprechen, dass er lange gesucht hat, bis er endlich eine Uni gefunden hat, auf der er trotz einer gewissen Faulheit seinen Abschluss machen konnte.«
»Immer misstrauisch, was?«
»Von Hause aus«, meinte Gassel und unterzog die ausgelegten Zeitschriften einer kurzen Inspektion. Mickeymaus war das einzige Druckerzeugnis, das er aus eigener Anschauung noch kannte.
»Kommen Sie bitte? Herr Doktor Beeck ist jetzt frei«, säuselte die überfreundliche Sprechstundenhilfe.
Gassel wuchtete sich hoch und folgte Schäfer in das Behandlungszimmer.
Das Büro des Kinderpsychologen strahlte eine angenehme Wärme aus, in einen Teil des ursprünglich schrägen Daches war eine verglaste Gaube eingelassen worden, statt einer Behandlungscouch gab es eine gemütliche Sitzgarnitur und Knautschkissen. Der Schreibtisch thronte nicht in der Mitte des Zimmers, sondern stand bescheiden in einer Ecke. Das Ganze wirkte überhaupt nicht so, wie man sich gemeinhin das Büro eines Seelenklempners vorstellte, sondern eher wie ein Wohnzimmer.
»Guten Tag«, meinte Beeck und stand auf. »Bitte, nehmen Sie doch Platz.«
Gassel und Schäfer schüttelten Händchen und verteilten sich auf der Sitzgruppe. Der Psychologe wies einladend auf eine Kanne Kaffee, hockte sich auf einen edlen Designerstuhl und schlug die Beine übereinander. »Was kann ich für Sie tun?«
Gassel zückte betont langsam seinen Notizblock und musterte den Arzt. Beeck war in seinem Alter, sah aber weitaus jünger aus als Mitte fünfzig. Das volle Haar war noch tiefschwarz, nur an den Schläfen zeigten sich ein paar graue Strähnen. Hinter der Brille wachten zwei scharfe, klare Augen.
»Herr Doktor Beeck, wir kommen wegen einer Ihrer Patientinnen. Svenja Düdder.«
Beeck nickte und verzog schmerzlich berührt das Gesicht. »Ich habe schon von meiner Sprechstundenhilfe davon gehört. Tragisch, wirklich tragisch.«
»Was haben Sie gehört?«, fragte Schäfer.
»Von Svenjas Tod. Wie ist es passiert?«
»Waren Sie in den letzten Tagen nicht in Bochum?«
»Nein, ich hatte auswärtige Termine und bin erst gestern Abend wieder zurückgekommen.«
»Darf ich fragen, wo Sie beschäftigt waren?«
»Ich hatte in Hamburg als Gutachter bei Gericht zu tun, anschließend war ich noch zwei Tage auf einem Kongress in Kitzbühel.«
»Svenja wurde ermordet«, erklärte Gassel. »Und zwar auf eine ziemlich brutale Weise.«
»Das ist ja entsetzlich«, meinte Beeck fassungslos. »Ermordet?«
»Ja. Weswegen war sie bei Ihnen in Behandlung?«
Der Doc stand auf, trat an seinen Schreibtisch, nahm einen dicken Ordner aus einer Schublade und blätterte suchend.
»Svenja ist. war, bezogen auf die Behandlungsdauer, eine meiner ältesten Patientinnen. Schon mit sieben Jahren gab es die ersten Kontakte, allerdings nur sporadisch. Richtig angefangen haben wir nach ihrem Aufenthalt in der Kinderund Jugendpsychiatrie. Hier haben wir es. Persönlichkeitsstörung, abhängige Persönlichkeit, depressive Verstimmung, autodestruktive Tendenzen.«
»Klingt, als sei sie sehr krank gewesen.«
»Das war Svenja auch. Aber wir haben gute Fortschritte gemacht, vor allem die Selbstverletzungen hatten in den letzten zwei Jahren aufgehört.«
»Doktor, betrachten Sie uns als absolute Laien. Welche Ursachen hat so ein Krankheitsbild?«
Beeck lächelte, klappte den Ordner zu und setzte sich wieder. »Wenn ich das pauschalisierend beantworten könnte, wäre mir der Nobelpreis in Sachen Prävention sicher. Gerade bei Kindern und Jugendlichen können psychische Erkrankungen extrem unterschiedlich begründet sein. Bei Svenja lag es, nach meiner Einschätzung, primär in einem sehr restriktiven Elternhaus begründet.«
»Können Sie das bitte ein wenig näher erläutern?«
»Natürlich. Svenjas Vater war außergewöhnlich streng, schon von frühester Kindheit an spürte sie kaum Zuwendung, alles war reglementiert. Wollte sie spielen, musste sie vorher um Erlaubnis fragen, ungefragtes Reden wurde
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