Rosenmunds Tod
nötig«, warf Annika ein. »Svenja ist auch ein sexuelles Verhältnis mit einem Mitschüler eingegangen. Dabei handelte es sich nicht nur um eine frühreife Teenager-Beziehung. Der junge Mann hat sie genötigt und sie ist ohne Gegenwehr darauf eingegangen.«
»Merkwürdig, dass Ihnen das nicht aufgefallen ist«, bemerkte Gassel ruhig.
Beeck zog eine um Verständnis bittende Grimasse. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie lange eine Therapie bei Kindern und Jugendlichen dauert, bis man sie als erfolgreich bezeichnen kann? Monate sind die Ausnahme, in über neunzig Prozent der Fälle sprechen wir von Jahren. Es dauert unendlich lange, bis sich ein Vertrauensverhältnis gebildet hat, außerdem sind junge Menschen bei weitem nicht so belastbar wie Erwachsene. Bis man einzelne Probleme isoliert und bearbeitet hat, gibt es zahllose Rückschläge. Natürlich war Svenjas Verhalten nicht normal, andernfalls wäre sie ja nicht bei mir in Behandlung gewesen. Dafür gab es multiple mögliche Ursachen. Und die Thematik des Missbrauchs wurde diskutiert. Nichts von dem, was Svenja sagte oder tat, erhärtete aber den Verdacht.«
»Behandeln Sie auch eine Mara Nowitzkowski?«
»Ja. Warum?«
»Das Mädchen wurde gestern Abend als vermisst gemeldet«, erklärte Gassel. »Und auch Mara wird missbraucht, von denselben Tätern, die sich an Svenja vergangen haben.«
Beeck ließ die Patientenmappe, die er bis dahin auf dem Schoß liegen hatte, mit einem Knall auf den Tisch fallen und stand auf. »In was für einer Welt leben wir eigentlich?«
»Über diese Frage ließe sich lange philosophieren. Hat Mara die gleiche Krankheit wie Svenja?«
»Nein«, grummelte Beeck. »Populär gesagt, sie ist das genaue Gegenteil, ein Narziss, wie er fast schon im Lehrbuch steht. Ein derart übersteigertes Selbstbewusstsein ist mir in keinem anderen Fall begegnet.«
»Haben Sie gewusst, dass sie auch missbraucht wird?«
»Nein«, gab Beeck etwas ruhiger zurück. »Natürlich habe ich auch mit ihr über Sexualität gesprochen, aber Mara würde es, vermute ich, noch nicht mal als Missbrauch interpretieren, wenn sich ein älterer Erwachsener um sie bemüht. Haben Sie ein Foto von ihr gesehen?«
Gassel nickte, Schäfer rollte nur kurz mit den Augen.
»Nach normalen Maßstäben ist sie nicht mal hübsch, harte Gesichtszüge, etwas Übergewicht. Aber sie kleidet sich wie eine Schönheitskönigin. Kurze, enge Miniröcke oder Shorts, weit ausgeschnittene Pullover.«
»Nach unseren Informationen kannten sich Svenja und Mara ziemlich gut, oder?«
»Ja, sie waren zusammen in Marl in Therapie und bewohnten gemeinsam ein Zimmer.«
»Standen sie auch nach der Therapie noch in Kontakt?«
»Vermutlich. Sie haben sich bestimmt auch ab und zu hier in der Praxis getroffen, das müsste sich anhand meines Terminkalenders nachvollziehen lassen. Und beide waren auf ihre Art Einzelgänger, gut möglich, dass die Mädchen weiter in Verbindung standen.«
»Behandeln Sie überhaupt eindeutige Missbrauchsopfer?«, erkundigte sich Annika.
»Ja. Allerdings mache ich das in enger Abstimmung mit einer Kollegin, zumindest bei den Mädchen. Für Frauen ist es leichter, ein Vertrauensverhältnis zu den Opfern aufzubauen.«
Gassel raffte seine Unterlagen zusammen, leerte seine Tasse und gab Schäfer einen Wink. »Vielen Dank, Herr Doktor Beeck, wir wollen Sie nun nicht länger belästigen. Dürfen wir Sie gegebenenfalls noch einmal um Ihre Hilfe bitten?«
»Aber natürlich«, nickte Beeck. »Ich bin immer für Sie da.«
30
»Herr Belda, erzählen Sie doch nicht so einen Mist«, donnerte Kriminalhauptkommissar Kemper das vor ihm sitzende Häufchen Elend an.
Olaf Belda kniff die rot geränderten Augen zusammen. »Herr Kommissar, ich kann Ihnen wirklich nichts anderes sagen. Wenden Sie sich an Herrn Swoboda. Immerhin gehören die Firmen ihm, nicht wahr.«
»Mann, langsam werde ich sauer«, sagte Klaus Weyers freudlos. »Ihr Boss spielt seit Tagen den Ahnungslosen und jetzt fangen Sie auch noch an. Was für ein Verein seid ihr eigentlich? Ein Geschäftsführer muss doch wissen, was in seiner Firma passiert!«
Der eingeschüchterte Zeuge wagte es kaum, an dem baumlangen Polizisten hochzusehen. Weyers hatte schon mehrfach allein durch seine Anwesenheit Verdächtige zum Reden gebracht.
»Ein Geständnis sähe vor Gericht sehr vorteilhaft aus«, mischte sich Staatsanwalt Sturm ein. »Nachweisen können wir die Betrügereien so oder so. Sind Sie wirklich sicher, dass Sie
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