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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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beschwerte sich, dass du so vorlaut bist. Stell dir mal vor! Was für eine gnädige Formulierung! Dem konnte ich erst mal nicht viel entgegensetzen, aber dann legte sie mir nahe, dich ein bisschen mehr zu ducken, zu stauchen, zu verbiegen, damit du dich besser in die Masse einfügst. Und sie bot mir sogar ihre Hilfe dabei an! Musst du dir mal vorstellen! Und da, muss ich sagen, war ich stolz auf dich. Und auf mich. Ich sagte: ›Das kommt gar nicht infrage. Ich bin sehr froh darüber, dass meine Tochter genau so ist, wie sie ist. Ich bin glücklich, wenn mein Kind den Mund aufmacht und nicht vor jeder Obrigkeit buckelt. Meine Tochter bleibt, wie sie ist.‹ Das habe ich wortwörtlich gesagt. Oder so ähnlich. Mit zitternder Stimme, aber ich habe es gesagt. Und ich habe mich nie im Leben getraut, etwas zu sagen! In der Schule bin ich immer fast gestorben, wenn mich die Lehrerin drannahm. Das habe ich von Oma. Jaja, die war auch so. Lammfromm. Hat auch nie was gesagt. Ja, doch … einmal, da …«
    »O Gott, weinst du etwa?«
    »Nein, nein …«
    »Und?«
    »Was ›und‹?«
    »Na, Oma, was hat sie gesagt?«
    »Ach …«
    »Weinst du wirklich nicht?
    »… das war in Ostpreußen, als Berlin evakuiert war. Ich musste jeden Tag vier Kilometer zur Schule laufen. Vier Kilometer! Zurück natürlich auch. Ich war eine gute Schülerin, hatte immer nur Einsen. Den Mund habe ich aber nie aufgemacht, wie gesagt. Also, im Gegensatz zu euch habe ich mich im Unterricht tadellos benommen, was natürlich nicht so schwer ist, wenn man den Mund nicht aufkriegt. Jedenfallsgab es vermutlich keinen Grund, sich über mich zu beklagen. Aber einmal eben doch. Ich hatte meinen Bleistift vergessen. Und da holte mich zur Strafe der Lehrer nach vorne und gab mir mit so einem langen Holzlineal kräftig was auf die Finger. Ich sag dir. Am nächsten Morgen lief Oma mit mir zur Schule, den ganzen Weg. Eigentlich hatte sie gar keine Zeit, musste bei diesem Bauern für unsere paar Scheiben Brot schuften. Wenn ich daran nur denke … Wo war ich? Ach ja. Sie kam also mit, baute sich vor dem Lehrer auf und sagte ihm mit richtig fester Stimme vor der gesamten Klasse ins Gesicht: ›Unterstehen Sie sich, mein Kind noch einmal zu schlagen!‹ Großartig war das. ›Unterstehen Sie sich‹, hat sie gesagt!«
    »Ja, das ist toll. – Ihr habt was mitgemacht. Willst du das nicht mal aufschreiben?«
    »Nein. – Nein.«
    »Wann kommst du denn wieder mal?«
    »So in zwei, drei Wochen, dachte ich.«
    »Schön.«
    »Na, dann mach deine Psychotherapie. Schaden wird es wohl nicht. – Soll ich Adam mal anrufen und mit ihm sprechen? Vielleicht lässt sich ja doch noch etwas geraderücken.«
    »Nein, lass mal, das mache ich selbst. Ja.«
    »Wie du das sagst.«
    »Wie denn?«
    »Na, als müsstest du dich dazu irgendwie durchringen.«
    »Ach! Muss ich vielleicht auch! Meinst du, es ist leicht für mich, immer wieder in einen Käfig voller Löwen zu springen? Wenn du wüsstest, was es mich an mentaler Anstrengung kostet, da anzurufen.«
    »Man wird doch wohl noch telefonieren können.«
    »Ja, klar, wird man, gar kein Problem. Man lässt sich ja immer gerne beschimpfen. Ich sage ja auch: Ich rufe ihn an. Ich versuche es noch mal.«
    »Jaja, mach das. Denn für Pasi wäre es schon besser.«
    »Für Pasi wäre es schon besser! Wenn ich das höre! Was willst du mir eigentlich damit sagen? Dass ich an Pasi dabei überhaupt nicht denke?«
    »Die Kinder gehen vor, das ist nun einmal so. Und Adam hat es ja auch nicht leicht. Erst die Scheidung, dann diese Frau, dann die Krankheit … Ich kann mir überhaupt nicht erklären, dass er weder mit dir noch mit Pasi sprechen möchte. Dahinter kann doch nur diese Frau stecken.«
    »Jajaja – seine Frau ist an allem schuld, klar. Und wenn nicht sie, dann eben ich oder Nike oder seine Mutter … Das hätten wir ja dann geklärt. Mann! – Also, ich rufe ihn an.«
    »Ja, das ist auch richtig.«
    »Ich muss los, tschüss.«
    »Grüß alle schön!«
    Aber Marie hatte bereits aufgelegt.
    Sie rief noch bei HAARE – BY HENRYK an, um Bescheid zu sagen, dass sie erst im Winter wiederkomme und auch das noch nicht feststehe, dann im Kindergarten, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei, und schließlich bei den Schmierlappen von der Telefongesellschaft, denen sie ungefragt mitteilte, dass sie keinen neuen Tarif brauche. Sie war so weit – jetzt konnte sie bei Adam anrufen und alles auf den Tisch bringen. Ihn dazu bewegen, einzulenken und Pasi

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