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Rosenpsychosen

Rosenpsychosen

Titel: Rosenpsychosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna-Maria Prinz
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hatte immer nur Augen für Marie gehabt, sie bewundert, viel zu sehr für eine glückliche Beziehung. Alle seine Freunde hatten seine Treue gerühmt: Adam könne man mit Penelope Cruz ein halbes Jahr auf eine Insel schicken – nicht einmal ansehen würde er sie. Diese Schlichtheit, auch sein einfacher, aber dafür immer präsenterHumor, seine Lust an gutem Essen und überhaupt gutem Leben hatten Marie erst gefallen, dann angewidert.
    Schon nach ein paar Wochen Ehe hatte sie gemerkt, dass der Preis für Bewunderung, schönes Leben und Treue ihre stets pünktliche Nacktheit gewesen war. Später hatte sie sich regelrecht geekelt, ihm aber jahrelang mit keiner Silbe etwas davon gesagt. Es hatte sich alles so hohl angefühlt, sie hatte es nicht ertragen können, aber weitergemacht aus Angst, nie zum Ziel zu kommen. Zu welchem Ziel überhaupt? Jahrelang geheuchelt hatte sie, und nun war sie erst richtig da, die Angst. Davor, genau so ein Nichts zu sein wie diese elende Person.
    Marie fiel in den Sessel neben dem Bücherregal und trocknete sich mit dem Saum ihres Kleides das Gesicht. Ihr Blick richtete sich auf die Antlitze in den Silberrahmen. Ihre Mutter saß im weißen Kittel an einem Tisch »ihrer« Pathologie und lachte seitlich ins Bild. Eine schöne Frau. Gar nicht geschminkt, nur leicht gebräunt, was sich vor den weißen Kacheln besonders gut ausnahm. Eine Frau, die lachen konnte, die sich verpflichtet fühlte, das Leben schön zu finden. Hatte sie nicht Krieg, Verzweiflung, Schmerz, Vergewaltigung, Diktaturen, Hunger und Tod erfahren? Als Kind den Vater begraben, mit nicht einmal vierzig Jahren den Mann. Immer alles gegeben und immer alles verloren. Doch gesprungen war sie nicht, sondern hatte darauf gewartet, dass sich die Sonne wieder blicken ließ. Tapfer, tapfer … Und ihr Lachen behalten. Wenn sie Mozart hörte, wollte sie nicht sterben, sondern ihr wuchsen Flügel. Das Gefühl kannte Marie, nur trugen sie diese Flügel immer direkt in den Orkus.
    Marie war ihrer Mutter plötzlich dankbar für alles. Dafür, dass sie mit den Kindern Eis essen ging, dass sie kam, wenn sie das Gefühl hatte, gebraucht zu werden, und nicht wie andere Mütter, die auftauchten, wenn sie das Bedürfnishatten, mal wieder gebraucht zu werden. Sie war ihr nun sogar dankbar dafür, dass sie Leber für alle briet, weil sie wusste, den Kindern würde es einfach schmecken. Maries Ordnungszwang belustigte sie, weder heuchelte sie Verständnis dafür, noch hatte sie ihr einen ernsthaften Vorwurf deswegen gemacht. Freilich hatte sie auch nie gefragt, woher dieser Zwang gekommen sein mochte. Oder hatte es nicht ansprechen wollen. Ahnte sie etwas von Maries innerer Unordnung, die nach krankhafter äußerer Ordnung und Sauberkeit verlangte? Eigentlich war es egal, ob sie es ahnte oder nicht. Entscheidend war, dass sie Mittagessen kochte, ins Bild lachte, dass sie Knöpfe annähte, wo Knöpfe fehlten, und nicht den Drang verspürte, darüber Bücher zu schreiben. Vielleicht musste man mit Müttern gar nicht immer über alles reden. Konnte man nicht der Mutter und sich selbst die Intimsphäre lassen und trotzdem von einem guten Verhältnis sprechen?
    Ich werd noch blöd vor lauter Erkenntnissen heute, dachte Marie, ging in die Küche und schlug die Zeitung wieder so auf, wie ihre Mutter sie zurückgelassen hatte. Zweite Seite Feuilleton, so hatte sie da gelegen. Ihre Arme zuckten widerstrebend, aber sie behielt die Oberhand. Sie klappte sogar die Lesebrille ihrer Mutter wieder auf und ging zurück zum Büchersessel. Nein, sie ging nicht, sie schwebte förmlich vor lauter Seelenheil. Nun wollte sie auch die anderen mit ihrer Liebe bedenken und sehen, was daraus entstünde.
    Professor Lilie, der Bildhauer, auch er lachte in Schwarz-Weiß aus einem Silberrahmen, daneben Maries Vater, der ernst und charakterstark auf irgendwas herabschaute. Es war kein privates Foto von ihrem Vater, sondern eine Autogrammkarte, ebenfalls schwarz-weiß und so gut fotografiert, dass man den Blick kaum abwenden mochte. Beste Freunde in Schwarz-Weiß.
    Sie musste Lilie wieder mal besuchen auf seinem Hof, wo er immer noch unermüdlich Marmor und edles Holz bearbeitete, gegen Kreissägenkünstler wetterte und seine große Familie mal mit Schnaps, dann wieder mit Liebe überschwemmte. Damals, als sie als Kinder den Sommer dort verbracht hatten, hatte ein Sohn der Familie einen Pilz gefunden, der ihm unglücklicherweise auf dem allzu hastig zurückgelegten Weg zum Hof

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