Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
Tatsächlich gelang es ihr, mit einer geschickten Mischung aus klarer Strenge und feinem Einfühlungsvermögen, Frau Spross davon zu überzeugen, es spiele keine Rolle, woher wir unsere Informationen hätten, wichtig sei jetzt nur, dass sie, Frau Spross, ernsthaft bedroht sei und deshalb unsere Hilfe brauchen könne.
Natalie Spross selbst war es gewesen, die daraufhin ein persönliches Treffen vorgeschlagen hatte. Ich war ihr dankbar dafür, denn so nützliche Erfindungen Telefon und E-Mail auch sind, so wenig können sie beim Austausch über gewisse Themen das persönliche Gespräch ersetzen. Zum Beispiel, wenn es um Erpressung und mehr geht.
Die beiden Frauen, die uns gegenübersassen, wussten, dass wir die Erpresser-Mails kannten. Es gab also keinen Grund, lange um den heissen Brei herumzureden. Frau Andermatt bestätigte den Eingang von insgesamt sieben Mails. Sie waren im Abstand von jeweils genau einer Woche eingetroffen, immer am Mittwoch. Und jedes Mail hatte sich, abgesehen vom ersten, auf ein Ereignis oder eine Aktion vom Vortag bezogen. Wir hatten sie alle ausgedruckt vor uns liegen.
Bevor ich die beiden bat, mehr über diese Aktionen und ihre Auswirkungen zu erzählen, fragte ich sie, ob es weitere Mitwisser gebe. Sie verneinten. Ausser ihnen beiden, jetzt uns, und natürlich dem Erpresser, der Erpresserin oder den Erpressern wusste niemand von den Mails. Auch die Polizei war bisher nicht eingeweiht worden.
Die Gründe dafür erläuterte Natalie Spross glaubhaft. Zunächst hatte sie immer noch an einen schlechten Scherz geglaubt. Danach hatte sie, gefördert durch bestimmte Drohungen, schlicht Angst gehabt. Wer auch immer hinter den Mails steckte, wusste offenbar gut Bescheid. Die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie es erfahren hätte, wenn sie sich an die Polizei gewandt hätte, war deshalb gross.
Und dass dann das, was ihr noch lieber war als die Firma, nämlich ihre Kinder, ernsthaft bedroht gewesen wäre, war in dem einen Mail mehr als bloss angedeutet worden. Adelina wandte besorgt ein, das sei seit dem letzten Mail auch jetzt der Fall, und erfuhr zu unserer beider Beruhigung, die Kinder seien sofort nach der ersten Drohung an einem sicheren versteckten Ort untergebracht worden.
Sie wisse, fuhr sie fort, dass das nichts daran ändere, dass der Gang zur Polizei überfällig geworden sei. Sie werde das gleich nachholen. Erst einmal aber sei sie froh, jemand Aussenstehendem die ganze Geschichte zusammenhängend erzählen zu können.
Ich muss gestehen, dass ich über dieses Bedürfnis nicht unfroh war. Wenn die Polizei erst nach uns die ganze Geschichte erfuhr, gab uns das einen gewissen Vorsprung, was uns wiederum die Chance offenliess, doch noch an die ausgesetzte Belohnung zu kommen. Sofort verscheuchte ich diese unkeuschen Gedanken und wandte meine Aufmerksamkeit ganz der Erzählung von Natalie Spross zu.
Zusammenhängend war der Anfang der Erzählung nicht ganz. Manchmal stockte ihr Redefluss, und immer wieder sah man ihr die mit den Erinnerungen verknüpften Gefühle an. Sie stand offensichtlich immer noch unter dem Schock der jüngsten Ereignisse. Und sie fühlte sich, wie sie gleich zu Beginn gestand, schuldig am Tod ihrer Partnerin, die, wie auch sie betonte, in kurzer Zeit zur Freundin geworden war. Als Adelina ihr erzählen konnte, Graziella Rosengarten habe in ihrem letzten Tagebucheintrag das gleiche Gefühl für sie beschrieben, freute sich Natalie Spross sichtlich und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge.
Sie sah in diesem Moment mitgenommen aus. Nicht weiter verwunderlich für den, der wusste, warum. Dann straffte sich ihre Gestalt wieder. Das Leben kehrte in ihre Augen zurück. Ein Spross vom Stamme der Spross lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Entschlossen griff sie zum Papierhäufchen der Erpresser-Mails und erzählte weiter.
Dass jemand, der mit Immobilien Geld verdienen will, sein Augenmerk auf das im ersten Mail eingeforderte Grundstück an der Karpatenstrasse richtete, war verständlich. Das zusammenhängende grosse Grundstück umfasste mehrere Mietshäuser und etliche Gewerberäume. Noch lag es in einer wenig attraktiven und eher heruntergekommenen Gegend, was die Renditemöglichkeiten entsprechend einschränkte.
Mit der Betonung auf noch, wie Natalie Spross erklärte. Mittlerweile war nämlich eines der blühendsten und boomendsten Trend-Viertel Zürichs nahe herangewachsen, und es war eine Frage der Zeit, bis auch dieses Quartier blühen und boomen
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