mir sicher, dass ich sie ordentlich zugezogen hatte, als wir gingen. Der Wind wehte nur als Lüftchen, und dass Grizzly Türfallen anspringen und öffnen konnte, war uns, mindestens bis dahin, unbekannt.
Vorsichtig öffneten wir die Tür ganz und äugten hinein. Ich ging mutig voran und konnte nach kurzer Zeit Entwarnung geben: Ausser uns war niemand im Haus. Ein zweiter Kontrollgang zeigte, dass auf den ersten Blick nichts fehlte oder auffällig anders war.
Ein leise nagendes Gefühl, es sei während unserer Abwesenheit jemand im Haus gewesen, konnte ich dennoch nicht unterdrücken. Adelina, die in solchen Dingen sensibler ist als ich, bestätigte meinen Eindruck. Und auch, dass das kein gutes Gefühl ist.
Grizzly schlang sich abwechselnd um unsere Beine. Jetzt schnurrte er wieder, offenkundig beruhigt über die Anwesenheit der richtigen Hausherren. Zu dumm, dass er keine Auskunft darüber geben konnte, wer sonst noch da gewesen war.
Adelina entschärfte die gedrückte Atmosphäre mit einem kleinen Scherz. Für den Fall, dass wir die ganze Geschichte später zu einem Krimi verarbeiten wollten, hätte diese jetzt eine gute Wendung genommen. Endlich sei wenigstens ein bisschen von dem hineingekommen, was Krimi-Leser und -Lektoren wollen: Handlung. Action. Und nicht immer nur dumm rumsitzen, denken und reden.
Ich fand, ein Mord, der fast direkt vor meinen Augen stattgefunden hatte, sei eigentlich genug Action, und hatte gar nichts dagegen, einen Fall auf die ruhige Art zu lösen. Zudem fand ich ohnehin, das Wichtige im Leben spiele sich im Kopf ab, vom Sex bis zum Kriminalisieren. Bevor ich ihr jedoch mit diesen Einwänden den Spass am eigenen Scherz verderben konnte, fiel uns wieder ein, was wir wegen des vermuteten Einbruchs beide für einen Moment glatt vergessen hatten: Auf uns wartete die Mailbox von Spross.
Adelina war früher eine versierte Hackerin gewesen. Deshalb fiel es ihr nicht allzu schwer, in die Mailbox einzudringen. Dort wandte sie sich dann ganz der Suche nach auffälligen Mails zu. Ich liess sie machen. Erstens, weil ich so mein Gewissen damit beruhigen konnte, nicht direkt an einer illegalen Aktion teilzunehmen, und zweitens, weil sie so was einfach viel besser konnte.
Nach etwa einer Stunde schien sie auf etwas gestossen zu sein, wie ich ihrer aufgeregteren Art, auf den Tasten herumzuspielen, entnehmen konnte. Nach einer weiteren halben Stunde ging sie triumphierend zum Drucker.
Ich las die Ausdrucke und teilte ihre Ansicht. Der Fall war gelöst. Wenn auch keineswegs ausgestanden.
Von:
[email protected] Betreff: Liegenschaftskauf
Datum: 17. Juli 11 : 55 : 55 MEZ
An:
[email protected] Sehr geehrte Frau Spross Döbeli
Sie sehen, ich habe Ihren Entsorgungs-Bereich nicht vergessen, der gehört schliesslich auch zur Spross-Gruppe. Und Sie müssen zugeben, dass ich ihn sehr effektvoll ins Bild gesetzt habe.
Es gehörte natürlich zur Inszenierung, dass ich einem Fotografen einen Tipp gegeben habe, bevor ich die Polizei informierte. Nur so konnte ich sichergehen, dass heute in allen Zürcher Medien das Bild auftaucht. Eine offenkundig nackte Leiche, hübsch drapiert über den Rand einer Abfall-Mulde. Und auf der prangen unübersehbar das Platanenblatt und der Schriftzug von Spross.
Eine echte Leiche in einer Mulde von Spross: Das klingt nicht nur unappetitlich, das ist es auch. Dieser degoutante Eindruck wird hängen bleiben. Auch wenn sich bald herausstellen wird, dass es sich um eine Leiche handelt, die bei einem Bestattungsunternehmer entwendet worden ist. Ja, ja, die Macht des Bildes!
Jetzt ist bereits eine Leiche im Spiel. Sie können sich vorstellen, was der nächste Schritt sein wird. Es ist ein Spiel mit dem Feuer. Denken Sie daran: Ich trage Asbesthandschuhe. Sie nicht.
Hochachtungsvoll
Aceraceae AG , Amanda Raggenbass
Reise nach Zürich
Dumme rennen.
Kluge warten.
Weise gehen
in den Garten.
Rabindranath Tagore
Im Zug nach Zürich lasen wir zur Einstimmung auf die Person, die wir gleich persönlich kennenlernen würden, noch einmal jenen Auszug aus einem Artikel in der «Bilanz», der im Juni 2011 unter dem Generalthema «Die 300 Reichsten der Schweiz» erschienen war und sich speziell mit Töchtern von Familiendynastien befasste:
«Am Anfang war das Jäten. Nicht selten steht der Sohn noch so gerne zurück, überlässt seiner Schwester den Vortritt. So geschehen bei der Zürcher Spross-Gruppe. Werner Spross, der sich vom Gärtnerlehrling zum