Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
würde. Mit allen Auswirkungen auf Grundstückspreise und Profitmöglichkeiten. Solche Entwicklungen einer Stadt lassen sich nun mal nicht aufhalten. Es sei immer die Philosophie ihres Grossonkels gewesen, die darin steckenden Potenziale zu nutzen, indem man sie früher erkennt als andere. Wobei, fügte sie hinzu, der alte Spross es sicher weit von sich gewiesen hätte, in diesem Zusammenhang von Philosophie zu sprechen, er hätte das einfach als gesunden Menschenverstand bezeichnet.
Wie auch immer dem sei, fuhr sie fort, wer in diesem Fall diese Philosophie beherzige und jetzt zu einem vergleichsweise günstigen Preis kaufe, dem winkten Millionengewinne. Satte Millionengewinne. Nur sei es so, leider aus der Sicht der Interessenten, dass Spross solche Grundstücke grundsätzlich nicht verkaufe, wenn es nicht unbedingt sein müsse.
Dass es jemand wagen würde, gegen diesen ehernen Grundsatz mit einem Ramm-Stein vorzugehen, hatte Natalie Spross Döbeli nicht geglaubt. Nicht nach dem ersten Mail. Und auch nicht nach dem zweiten. Adelina kam mir zuvor und fragte nach, ob sie richtig gehört habe, ob sie von Rammstein gesprochen habe.
Natalie Spross bejahte und erklärte, sie hätte selbst mal eine Rammstein-Phase gehabt. Als im ersten Mail aus einem Song von Rammstein zitiert wurde, hatte sich der Zusammenhang in ihrem Kopf festgesetzt. Nach und nach war ein inneres Bild entstanden von einem Ramm-Stein, der jedes Mal mit grösserer Wucht gegen die Festungsmauer knallt.
Am Anfang hatte es diesen bedrohlichen inneren Film noch nicht gegeben. Auch als sie der Leiter der Baumschule eines frühen Morgens aufgeregt anrief und von den Brandschäden in der Buchsbaumplantage berichtete, ging sie noch von einem Streich dummer Jungen aus. Der Schaden war überschaubar, es ging nur um wenige Meter Büsche, die man schnell ersetzen konnte, sodass schon beim Eintreffen der ersten Besucher keine Spuren des kleinen Anschlags mehr sichtbar waren. Der Leiter der Baumschule hatte bei Nachfragen bestätigt, dass weder er noch sonst jemand in den zusammenhängenden Brandlöchern den Buchstaben K wahrgenommen hatte, da konnte die anonyme Mail-Schreiberin behaupten, was sie wollte.
Gravierender war der eine Woche später erfolgte Diebstahl der Sprosse. Nach dieser Aktion und dem darauf folgenden Mail waren Natalie Spross und Theresa Andermatt, die zu diesem Zeitpunkt schon Mitwisserin war, ernsthaft beunruhigt. Zunächst darüber, dass es eine undichte Stelle geben musste, die das gut gehütete Firmengeheimnis verraten hatte. Dann wegen des Verlusts von kostbaren, ja unersetzlichen Sprossen. Und schliesslich wegen der unverhohlenen Drohung gegen die leibhaftigen Sprosse von Spross am Schluss des Mails.
Als ich nachfragte, ob es sich bei der gestohlenen Neuzüchtung um eine Mischung aus Platane und Ahorn gehandelt habe, kam Natalie Spross richtig ins Schwärmen. Ja, der Platahorn, wie der neue Baum heissen sollte, war schon der Traum ihres Grossonkels gewesen. Ein Baum von der Robustheit einer Platane, die ihn zum idealen Stadt- und Strassenbaum macht, und von der Schönheit des Ahorns, die in den glühenden Laubfarben eines Indian Summers gipfelt, was im Herbst ganze Plätze und Strassenzüge in ungesehenem Glanz erstrahlen lässt – das war sein Traum.
Und weil einer wie der alte Spross keine Träume hat, sondern Visionen, ging er flugs ans Werk. Er weihte ein kleines Trüppchen enger Vertrauter ein und räumte ihnen gelegentlich eine Randstunde ein, um das Projekt in kleinen Schritten voranzutreiben. Dabei machte er klare Vorgaben. So sollten die Früchte des Platahorns nicht den stacheligen Dingern der Platane gleichen, sondern mehr den elegant geflügelten Samen des Ahorns.
Werner H. Spross war klug genug, das reichlich utopisch erscheinende Projekt nicht an die grosse Glocke zu hängen und so seinen Ruf als geerdeter Pragmatiker nicht zu gefährden, und hielt es bis zu seinem Ableben geheim. Wenn auch nicht vor seinen Nachfolgern. Diese köchelten es auf kleinem Feuer im kleinsten Kreis weiter. Jetzt, nach vielen Jahren emsigen Forschens und Pröbelns, war der Durchbruch endlich gelungen. Nach vielen Einkreuzungen gab es den Baum mit den gewünschten Eigenschaften. Und er liess sich vermehren, wie die Reihe von Platahorn-Sprossen eindrücklich bewies.
Der Diebstahl dieser Sprossen war für Spross ein herber Verlust, wie das Mail richtigerweise behauptete. Zum einen, weil die Frucht jahrzehntelanger liebevoller Bemühungen
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