Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
von Flucht vor einem innerfamiliären Konflikt, doch nicht einmal über ihren Mädchennamen war etwas bekannt. Sie hatte bald nach ihrer Einwanderung einen nach Neuseeland ausgewanderten Schweizer namens Oskar Raggenbass geheiratet und firmierte fortan als Amanda Raggenbass. Offenbar war es ihr gelungen, alle Spuren zu verwischen, die zu ihrer Herkunft führen könnten.
Ziemlich gesichert schien, dass dieser Oskar Raggenbass ein kleineres Vermögen damit gemacht hatte, dass er auf den mit Neuseeland assoziierten Cook Islands einen Offshore-Finanzplatz aufbaute. Adelina und ich schauten uns fragend an: Hatte dieser junge Wirtschaftskriminalist etwa einen Anflug von männlicher Intuition gehabt?
Dieser Raggenbass jedenfalls hatte seine Bergleidenschaft aus der Schweiz mitgenommen und war relativ jung bei einer Besteigung des höchsten Bergs Neuseelands, der ausgerechnet Mount Cook heisst, in eine Lawine geraten. Sein mittlerweile auf ein beträchtliches Ausmass angewachsenes Vermögen hatte seine Frau geerbt und in den folgenden Jahren dank geschickter Beteiligungsgeschäfte ungefähr um den Faktor zehn vermehrt. Auch diese Information war offenkundig mehr Gerücht als gesicherter Fakt, Näheres über die Art ihrer Geschäfte oder gar deren wirklichen Ertrag wusste niemand.
Sicher war, dass sie vor etwa fünfzehn Jahren in die Heimat ihres verstorbenen Mannes zurückgekehrt war und sich in Zürich niedergelassen hatte. Dort hatte sie ihre Stiftung gegründet und tat damit seither so viel Gutes, dass sie den Ruf einer echten Wohltäterin genoss.
Anders als andere Wohltäter hatte sie offensichtlich keinerlei Bedürfnis, ihr eigenes Ego aufzublähen. Sie erschien nie in der Öffentlichkeit und schien ihre Villa so gut wie nie zu verlassen, wie ein anscheinend besonders neugieriger Chat-Teilnehmer aus eigener Beobachtung zu berichten wusste. Von ihm stammte auch die Information, Frau Raggenbass habe kein festes, im Haus selbst wohnendes Personal. Mit Ausnahme einer älteren Dame, die offenbar ihre einzige Vertraute sei.
Mehr war nicht herauszukriegen. Sehr viel weiter half es uns auch nicht. Wir wussten jetzt, dass Amanda Raggenbass theoretisch in der Lage war, sich durch Beteiligungsgeschäfte etwas dazuzuverdienen, um ihre Ausgaben für Spenden zu decken, und dass diese Geschäfte auch diskret und am Rande der Legalität denkbar waren. Doch dass ausgerechnet eine ausgewiesene Wohltäterin zu so krummen Geschäften wie einer Erpressung in der Lage sei, erschien Adelina sehr unwahrscheinlich.
Unwahrscheinlich ja, unmöglich nicht, entgegnete ich. Ich erzählte Adelina von einem Theaterstück von Bertolt Brecht namens «Der gute Mensch von Sezuan». Lesen oder gar anschauen müsse sie sich das nicht, es sei viel zu belehrend und langfädig, aber der Plot sei in unserem Zusammenhang interessant: Eine zu echter Wohltätigkeit neigende Frau finanziert ihre Spendenbereitschaft so, dass sie sich zeitweilig in eine kalte und herzlose Kapitalistin verwandelt und damit genug Kohle für ihre nächste wohltätige Phase macht. Das Urbild einer gespaltenen Persönlichkeit sozusagen. Könnte doch auch auf Amanda Raggenbass zutreffen.
Adelina musste zustimmen. Wir hatten jedoch für diese kühne Theorie so wenig Beweise wie für die fast noch kühnere Annahme, bei Amanda Raggenbass handle es sich um die frühere Amanda Rosengarten. Allerdings sprach auch nichts dagegen. Die Gerüchte um ihre Herkunft sprachen im Gegenteil eher dafür. Auch altersmässig könnte es hinhauen.
Vor allem aber gäbe es bei dieser Identitätslage endlich eine vernünftige Erklärung dafür, warum ausgerechnet Graziella Rosengarten zum Mordopfer geworden war. Die ganze Erpressung von Spross wäre dann nur ein äusserst raffiniertes Täuschungsmanöver gewesen, um vom eigentlichen Mordmotiv abzulenken: späte Rache an der verhassten Schwester.
Um ein solches Erpressungsmanöver durchzuführen, braucht man Macht, sprich Geld. Man muss Informanten kaufen und die Ausführenden für ihre Verschwiegenheit gut bezahlen. Für Amanda Raggenbass, geborene Rosengarten, wäre das kein Problem gewesen, zumal als angenehme Nebenwirkung ein satter Gewinn winkte. Vor allem aber könnte sie dank dieses Umwegs der Polizei ein überzeugendes Motiv dafür liefern, warum ihre Schwester einem Mordanschlag zum Opfer fiel.
Diesmal war ich der Skeptiker. Rache als Mordmotiv, gut und recht, aber nach über zwanzig Jahren? Psychologisch nicht sehr überzeugend. Aber, schlug
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