Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
Erbe laufend.»
Diese Behauptung wurde mit Zahlen belegt: 2009 betrug ihr geschätztes Vermögen noch fünfhundertfünfzig Millionen, schrumpfte jedoch dann jedes Jahr bis 2012 um hundert Millionen. Wenn das so weiterginge, wäre sie also Mitte 2015 pleite.
Fast empfanden wir so etwas wie Mitleid mit dieser freigiebigen Dame, doch so ganz glauben konnten wir diese verschwenderische Strategie der Vermögensverwaltung nicht. Ich kannte aus früheren Tagen einen leitenden Redaktor bei der «Bilanz». Den rief ich jetzt an, um mehr zu erfahren.
Weitgehend ergebnislos. Der Journalist bestätigte nur, dass es sich bei Amanda Raggenbass um einen der härtesten Brocken auf ihrer Liste handle. Sie schotte sich völlig ab, an sie heranzukommen, sei unmöglich. Interviews gebe sie nicht, nicht einmal ein vernünftiges Foto von ihr existiere. Sie wüssten deshalb nicht mehr, als im Netz stehe.
Auf ihre Zahlen zum Vermögensschwund seien sie gekommen, weil Frau Raggenbass’ Stiftung durchaus transparent operiere. Man wisse deshalb, an wen die Spendengelder gehen, und es sei auch ausgewiesen, dass sich die Stiftung vorwiegend durch sehr grosszügige Beiträge aus dem Privatvermögen der Stifterin finanziere. Ob die Dame aber wirklich diesem rasanten Schwund ihrer Besitztümer tatenlos zusehe oder ob sie sich heimlich nicht doch etwas dazuverdiene, um ihre Schatullen wieder zu füllen, sei völlig unbekannt.
Amanda Raggenbass, fügte er hinzu, gehöre sicher ausgeprägt zu jener Mehrheit der Reichen auf ihrer Liste, die dort lieber nicht auftauchen würden. Das könne sie zum Glück nicht verhindern. Ansonsten hätten solche Leute sehr wohl die Möglichkeit, ein Auftauchen im Internet weitestgehend zu verhindern – alles eine Frage des Geldes. Deshalb findet man im Internet über jeden Kassier eines örtlichen Blasmusikvereins viel mehr Informationen als über diese Superreichen.
Diese Beobachtung konnte Adelina im Fall von Amanda Raggenbass leidvoll bestätigen. Ausser den Informationen über ihre Stiftung gab es im Netz nichts zu finden, weder über ihre Herkunft noch über die Quelle ihres Reichtums, und schon gar nichts über allfällige aktuelle Aktivitäten.
Adelina wollte diese Pleite ihrer Recherche nicht auf sich sitzen lassen. Sie nahm mit einigen ihrer alten Kumpels aus Hackertagen Kontakt auf und erfuhr nach einigem Hin und Her von der Existenz einer nicht öffentlichen und gut abgeschirmten Internetplattform namens «richwatch.org». Der Name war Programm: Man wollte den Reichen auf die Finger schauen, um ihnen bei Bedarf daraufklopfen zu können. Zu diesem Zweck sammelte man in vielen Ländern alle Informationen über die dort jeweils reichsten dreihundert Personen.
Hätte richwatch.org diese Informationen öffentlich zugänglich ins Netz gestellt, wäre eine durch die Betroffenen ausgelöste Prozesslawine unvermeidlich gewesen. Um dieser Gefahr zu entgehen, beschränkte man sich bei der Publikation auf einen ausgewählten Kreis von Gleichgesinnten, die eine verschworene Gemeinschaft bildeten, in die nicht leicht hineinzukommen war. Einer von Adelinas Kumpeln wusste auch dieses Problem zu lösen, und bald war sie erfolgreich auf der Website von richwatch.org gelandet.
Zunächst war die Ausbeute auch hier enttäuschend. Unter dem Titel «Gesicherte Fakten» fand sich nicht viel mehr, als wir schon wussten. Nur ihr genauer Wohnort in Zürich war zusätzlich angegeben, samt Bildern von Google. Es handelte sich um eine herrschaftliche Villa am Zürichberg, wobei das Auffälligste ein weitläufiger und offenbar sehr gepflegter Garten war.
Adelina entdeckte, dass es zu jedem beobachteten Reichen eine zusätzliche Rubrik namens «Vermutungen» gab. Hier konnten in einem Chatforum alle Mitglieder das eintragen, was sie an ungesicherten Fakten wussten oder eben auch nur gerüchteweise vermuteten. Es gab keine Möglichkeit, das eine vom anderen zu unterscheiden, die Leserinnen und Leser mussten sich selbst ein Bild davon machen, was im wuchernden Gerüchtedschungel plausibel klang und was nicht.
Auch im Falle von Amanda Raggenbass wucherte dieser Gerüchtedschungel üppig. Nachdem wir uns ungefähr eine Stunde lang durchgekämpft hatten, ergab sich ein einigermassen plausibles, wenngleich nach wie vor völlig ungesichertes Bild von ihr.
Die erste Spur von ihr stammte aus Neuseeland. Demnach war sie dort vor über zwanzig Jahren wie aus dem Nichts aufgetaucht. Man munkelte zwar etwas von jüdischer Herkunft und
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