Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
meine Phantasiewelten ab. Schon sah ich Adelina und mich auf verdeckter Ermittlung in der Villa der Raggenbass. Oder wenigstens in deren Garten. Das war doch wirklich kein Problem. Wir schlüpfen einfach in Arbeitsgewänder von Spross und geben uns, ausgestattet mit den passenden Werkzeugen, als Gärtner aus, die einen dringenden Auftrag haben. Und schon sind wir in Raggenbass’ Garten.
Erst waren die Damen von dieser Idee nicht sehr entzückt, doch da sie keine bessere einzubringen hatten, wurde schliesslich beschlossen, dies sei die einzige Chance, die uns noch bliebe, weshalb wir sie möglichst sofort nutzen sollten. Eine Stunde später standen Adelina und ich einschlägig verkleidet im Garten der Raggenbass’schen Villa.
* * *
Hineinzukommen war ganz einfach gewesen, denn es gab einen triftigen Grund für unsere Mission. Die Gewitterfront vom Vortag war auch über die Stadt Zürich hinweggezogen und hatte dort mit heftigem Hagelschlag gewütet. In solchen Fällen gehörte es zur Geschäftspolitik von Spross, nicht abzuwarten, bis gute Kunden selbst Schäden meldeten, sondern aktiv danach zu fragen. Tatsächlich wusste die rechte Hand von Frau Raggenbass, eine gewisse Frau von Goppenstein, von Hagelschäden im Garten zu berichten, die sie so schnell wie möglich behoben haben wollte.
Sie liess uns durch das mit Videokameras überwachte Tor hinein und wirkte nicht allzu erstaunt, fremde Gesichter vor sich zu sehen. Unsere Erklärung, wegen der starken Beanspruchung des Arbeitsteams seien ihre gewohnten Gärtner anderweitig beschäftigt, überzeugte sie. Nachdem sie uns einen groben Überblick über die Schäden gegeben hatte, verabschiedete sie sich. Sie habe aushäusig zu tun und sei etwa in einer Stunde zurück.
Von Frau Raggenbass war nichts zu sehen. So begnügten wir uns vorderhand damit, den Garten in Augenschein zu nehmen. Die Bilder hatten nicht zu viel versprochen. Dieser Garten war ein Meisterstück der Gartenkultur. Natalie Spross hatte uns erzählt, sie habe Pläne und Bilder davon einmal Graziella Rosengarten gezeigt. Diese habe sich alles sehr genau angeschaut und gemeint, dieser Garten gehöre zu den ganz wenigen, die sie selbst gerne entworfen hätte.
Ich erinnerte mich an unser Gespräch und an Rosenrots Schwärmerei für fliessende Gewässer, weshalb mich ihre Sympathie für den Garten von Amanda Raggenbass nicht überraschen konnte. Hier war ihr Traum Wirklichkeit geworden. Ein Bach floss quer über das Hanggrundstück, auf dem die Villa stand. Von Frau Spross wussten wir, dass dieser Bach von einer natürlichen Quelle gespeist wurde, jedoch auf seiner ganzen Fliessstrecke künstlich angelegt worden war.
Schon die Bilder hatten gezeigt, mit welcher Kunstfertigkeit diese Aufgabe gelöst worden war, doch die Wirklichkeit wirkte einfach überwältigend. Jedenfalls auf mich, den Liebhaber von fliessenden Kleingewässern. Dieser rund hundert Meter lange Bachabschnitt, der sich, von unten betrachtet, von der linken oberen bis zur rechten unteren Ecke erstreckte, enthielt alles, was für mich die Essenz eines Bachs ausmacht, verdichtet auf einer überschaubaren Distanz zwischen Quelle und Abfluss in die städtische Kanalisation.
Der Bach hatte gerade und gekrümmte Abschnitte im stimmigen Verhältnis. An manchen Stellen war das Gefälle gering, sodass das Wasser ruhig und nur leise vor sich hin murmelnd dahinfloss. An anderen verengte sich das Bachbett und zwang das Wasser zu rascherem Dahinrauschen. Kleinere und grössere Steilstufen bildeten Wirbel und Wasserfälle.
Dieser Bach kam mir vor wie ein Bonsai-Baum im besten Sinne. Da wie dort wurde ein enormer künstlicher Aufwand betrieben, um den Eindruck grösstmöglicher Natürlichkeit zu erwecken. Beim Bonsai-Bach war das gelungen. Man ahnte zwar, dass jeder Stein und jeder Felsbrocken, aber auch jede Pflanze an den Ufern sehr bewusst platziert worden war, und doch wirkte das Ganze wie von der Natur selbst gestaltet. Oder vielleicht gerade deswegen.
Den Höhepunkt dieses Gesamtkunstwerks bildete zweifellos der Bachteich ungefähr in der Mitte der Fliessstrecke. Dieser Teich, in dem das eben noch munter rauschende Wasser zur Ruhe kam, war rund zwanzig Meter lang und etwa fünf Meter breit. Bis auf seinen Grund konnte man nicht sehen, doch die Steilheit der Uferböschung liess auf eine beträchtliche Tiefe schliessen. Am Ende des Teichs stürzte der Bach über einen kleinen Wasserfall und verschwand in einem Wäldchen.
Dieser Teich lag
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