Rosenrot, rosentot
schnell. Aaron war dicht hinter ihm. Es ging Datsun gegen Dodge, eine Schrottkiste gegen eine andere. Ich fand es gut, dass Brian mitspielte, dass es ihm anscheinend gefiel, ein ganz normaler Typ zu sein, der mit uns zusammen Quatsch machte. Kein Zeuge Jehovas, kein kluger Junge, der auf die Technikerschule gekarrt wird, weil seine Eltern wollen, dass er sich bis zum Armageddon still hält und einfach Installateur ist, nicht der Typ, der so tun muss, als ob er uns nicht kennt. Ich erinnerte mich noch, wie er sich in der zweiten Klasse heimlich einen Muffin nahm, als Lisa Owen an ihrem Geburtstag welche mitbrachte. Ja, das wusste ich noch. Und das mochte ich an ihm. Ehrlich, daran dachte ich, als wir ihn mit über sechzig Meilen die Stunde jagten. Es hatte gar nichts mit dem zu tun, was wir machten, aber das ging mir durch den Kopf.
Paul forderte Aaron auf, anzuhalten und Brian in Ruhe zu lassen. Er meinte, dass das alles eine blöde Idee gewesen sei und wir lieber warten sollten, bis wir einen Zeugen Jehovas finden würden, den wir nicht kannten, und dann bei dem anklopfen sollten. Er wollte cool bleiben, aber ich merkte, dass ihm die Raserei Angst machte. Doch wir fuhren weiter. Ich glaube, irgendwann stieß Aarons vordere Stoßstange gegen Brians hintere. Und da geriet Brians Wagen ins Schleudern.
Er war viel zu schnell unterwegs und kam von der Straße ab.
Und, ja, wir sind weitergefahren. Ich würde eine Menge dafür geben, wenn ich das Ende ändern könnte, indem ich es anders aufschreibe, doch egal, wie ich es schreibe, es endet immer gleich. Und es tut mir so leid!
Als Erster sagte Paul etwas. Ich glaube, er sagte: »Oh Gott!« Aber wir fuhren trotzdem immer weiter. Aaron sagte immer wieder: »Scheiße«, und schlug auf das Lenkrad ein. Ich sagte gar nichts. Aaron nahm die Chestnut Street zurück in die Stadt. Von dem Parkplatz beim »Dunkin’ Donuts« aus rief Paul den Notruf, dann verschwanden wir.
Wir fuhren wieder zu Aaron. Ich wüsste nicht, dass ich an dem Abend noch irgendwas gesagt hätte. Mir kommt es vor, als hätte ich seitdem eigentlich gar nichts mehr gesagt. Inzwischen ist es drei Wochen her.
Ich weiß nicht, was passieren sollte.
Aber ich muss es erzählen, und ich will, dass irgendwas geschieht.
Ich werde nicht den Mund halten. Ich werde nicht so tun, als wäre ich nicht an dem beteiligt gewesen, was Brian passiert ist.
So will ich nicht leben.
Und es tut mir leid.
»Du hast diesen Brief 1996 bekommen?«, fragte Charlotte und sah mich dabei an.
Ich versuchte mir vorzustellen, was sie dachte. Das Jahr, in dem wir an der Junior High waren. Das Jahr, in dem ich durchgedreht bin. Das Jahr, in dem Rose’ Träume im Looking Glass erschienen.
»Ja«, antwortete Sally.
Brian zeigte auf den Brief. »Also, was da steht, Charlotte, entspricht das ungefähr dem, was dein Bruder dir erzählt hat?«
»Ja.«
»Und es stimmt auch mit dem überein, was Aaron mir gebeichtet hat«, verriet Brian.
»Aaron?« Charlotte staunte. »Du hast mit Aaron gesprochen?«
»Ja, schon vor Jahren.« Brian rührte seinen Kaffee so energisch um, dass einiges davon über den Tassenrand schwappte. »Wie es scheint, bekam Aaron um die Zeit herum, als sein erstes Kind geboren wurde, so etwas wie ein Gewissen. Da hat er sich bei mir gemeldet. Ich konnte ihm nicht direkt vergeben, aber ich konnte ihm sagen, dass mein Leben sich seitdem deutlich verbessert hatte. Auf ziemlich unerwartete Weise. Es sind Dinge geschehen, die unter anderen Umständen wohl nicht eingetreten wären. Und ich hatte ihn nicht gehasst; eigentlich hatte ich jahrelang überhaupt nicht an ihn gedacht. Das genügte uns anscheinend beiden.«
»Hast du ihn auf den Brief angesprochen?«, fragte Charlotte unsicher.
»Natürlich. Doch er hatte wohl keine Ahnung, wovon ich rede. Und ich hoffe, ihr versteht das nicht falsch, sofern ihr immer noch mit ihm befreundet seid, aber ich halte ihn nicht für einen geschickten Lügner.«
»Wir sind nicht mit ihm befreundet«, versicherte Charlotte hastig. »Und, ja, ich weiß, was du meinst. Hör zu, es tut mir leid, dass wir dir nicht sagen können, wer den Brief abgeschickt hat. Und vor allem möchte ich dir sagen, dass ich mich für meinen Bruder schäme.«
Sally sah sie an. »Dann habt ihr keinen Schimmer, wer das gewesen sein könnte?«
»Ich würde schätzen, dass es jemand war, der Rose nahestand«, antwortete Charlotte. »Wer sonst könnte an den Brief gekommen sein?«
»Vorausgesetzt, sie hat ihn
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