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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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Sein kleiner Neffe saß auf seinem Schoß und zupfte mit seinen winzigen Wurstfingern an Brians blitzsauberem Poloshirt.
    Es wirkte, als sei Charlotte bei Brians Anblick kurz wie betäubt, denn sie blieb auf halbem Weg zu ihrem Tisch stehen. Dann fasste sie sich aber rasch wieder, ging weiter und begrüßte alle, bevor sie sich einen Kaffee bestellte.
    Nach dem Eröffnungsgeplänkel legte Brian bedächtig eine Hand auf den Tisch.
    »Ich wollte mit euch beiden reden, weil ich glaube, dass ihr mir etwas erklären könnt. Mir ist natürlich klar, dass wir hier über etwas sprechen, was eine ganze Weile zurückliegt. Fast zehn Jahre. Aber kann sich eventuell eine von euch erinnern, mir etwas geschickt zu haben, sagen wir mal ... zu Highschoolzeiten? Klingelt da was bei euch?«
    »Du willst wissen, ob eine von uns dir irgendetwas geschickt hat?«, fragte Charlotte und runzelte die Stirn so stark, dass ihr ganzes Gesicht zerknautscht wurde.
    »Ja«, bestätigte Brian ungerührt.
    »Nein ... ich erinnere mich nicht«, antwortete sie leise. »Irgendwas ... Bestimmtes?«
    »Ich sag’s mal anders.« Brian holte tief Luft und sah dann zu Sally hinüber, die nervös auf dem Tisch trommelte. »Wie viel weißt du von meinem Autounfall? Über die Beteiligten? Hat irgendjemand dir gegenüber was erwähnt? Rose? Dein Bruder?«
    »Damals nicht«, murmelte Charlotte.
    »Damals nicht?«
    »Nein. Wann dann? Zufällig um 1996 herum?«
    »Nein!«, widersprach Charlotte und warf mir einen verwirrten Blick zu. »1996? Nein! Paul hat mir erst vor ein paar Tagen erzählt, was passiert ist.«
    »War ja klar.« Brian sah uns misstrauisch an. »Wegen der Sache mit Rose in den letzten Tagen, nehme ich an?«
    »Ja«, sagte Charlotte, die rot wurde und sich von mir abwandte.
    »Würde es dir etwas ausmachen, mir zu verraten, was er dir erzählt hat?«, fragte Brian.
    »Ich denke, da rufst du ihn am besten selbst an. Ihr zwei solltet wohl mal reden. Ich kann ihn anrufen und ihm ...«
    »Nein. Nein, wenn ich mit Paul reden will, mache ich selbst einen Termin mit ihm.«
    Charlotte nickte. Ich spürte, dass Sally mich beobachtete, mich, Brian und Charlotte, dann wieder mich. Sie neigte ihren Kopf. Meine Verwirrung machte sie neugierig.
    »Weißt du, was passiert ist?«, wollte sie wissen.
    »Nein«, gestand ich.
    »Also, als du mich kontaktiert hast, hast du nicht ...«
    »Nein«, wiederholte ich. »Ich habe dich wirklich nur wegen der Gedichte im Looking Glass angemailt.«
    Brian wandte seinen Blick von Charlotte ab und sah mich an. »Den Looking Glass von 1996, ja?«
    »Ja.« Mir war nicht ganz wohl dabei, dass er diese Jahreszahl so betonte.
    »Aber du erinnerst dich nicht an die Einzelheiten meines Unfalls, oder? Du weißt nichts darüber?«
    »Nein«, bestätigte ich. Sein Unfall war 1990 passiert. Ich sah die Verbindung nicht. »Und ich glaube, dass ich die einzige Person an diesem Tisch bin, die keinen Schimmer hat, worüber wir reden.«
    Charlotte erstarrte, und Sally sah tieftraurig aus. Das Baby Max hickste.
    »Würde es dir etwas ausmachen, es mir zu erzählen?«, fragte ich Brian.
    Brian musterte mich aufmerksam, verfrachtete seinen Neffen von seinem Schoß auf Sallys und trank von seinem Kaffee, bevor er anfing zu erzählen.
    »Nun«, begann er und beobachtete mich dabei. »Ich konnte mich nicht an den Unfall erinnern. Ich wusste nur noch, dass ich unterwegs war, um Leute zu bekehren. Hinterher behaupteten alle, ich sei viel zu schnell gefahren, aber ich fuhr nie schnell. Ich hatte es doch gar nicht eilig, das nächste Haus zu erreichen. Im Gegenteil, ich hasste es, bei wildfremden Menschen an die Tür zu klopfen. Und ich hatte es ganz sicher nicht eilig, nach Hause zu kommen.
    Aber mir schien es wichtig zu sein, mich an alles erinnern zu können. Die Geschichte, die mir die Leute erzählten, kam mir falsch vor. Sie sagten, ich hätte wie ein Bekloppter aufs Gas getreten. Mir war, als wäre ich in einer anderen Welt wieder zu mir gekommen – gelähmt und mit einer Vorgeschichte, die ich nicht glauben konnte. Für mich war es der reinste Frust – nein, sogar Folter, um ehrlich zu sein –, dass mir so etwas Schreckliches passiert war und dann auch noch alle wollten, dass ich ihnen diese furchtbare, unglaubliche Geschichte abnehme, ich sei wie ein Berserker nach Hause gerast. Das konnte ich einfach nicht glauben, deshalb wurde es für mich umso wichtiger, mich an alles zu erinnern. Nur so würde ich beweisen können, dass es nicht stimmte.

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