Rosenrot, rosentot
reden wollen.«
»Woher willst du das denn wissen?«, fragte Charlotte.
»Ich denke es eben.«
»Meinetwegen, Nora.«
Dann waren wir wieder still, und ich sah hinauf in den trüben grauen Himmel. Bald würde es dunkel werden.
»Ist das hier nicht die Stelle, wo sie dich gefunden haben, als du weggelaufen bist und deine Mutter so ausflippt ist? Als du noch klein warst? Bist du nicht hinter einem Eichhörnchen hergelaufen oder so?«
Ich antwortete nicht. Ich glaubte, dass der einzige Grund, weshalb Charlotte das jetzt ansprach, der war, dass sie mich lächerlich machen wollte. Ein anderer fiel mir nicht ein. Ja, an dem Abend war ich hinter einem Eichhörnchen hergelaufen. Aber es hatte ausgesehen, als ob es verletzt sei, und ich wollte herausfinden, wie ich ihm helfen könnte. Ich hatte Angst, wenn ich es aus den Augen ließe, würde es irgendwohin hoppeln und sterben.
KNACK !
Charlotte zuckte zusammen. »Was war das?«
»Weiß ich nicht«, flüsterte ich.
KNACK ! Ein weiteres Knacken im Gebüsch, gefolgt von einem Rascheln. Charlotte stand auf.
»Wahrscheinlich jemand, der mit seinem Hund spazieren geht.«
»Pst!«, zischte sie.
Der Kassettenrekorder surrte weiter und zeichnete die Stille auf.
Als Charlotte und ich uns gerade wieder entspannen wollten, hörten wir ein lang gezogenes, pfeifendes Atmen hinter uns. Mein Herz wummerte wie verrückt los, doch dann gab sich derjenige zu erkennen.
»Nor- aaaa «, flüsterte er, wobei der letzte Teil in ein tiefes, holpriges Lachen überging.
Ich stand auf und stemmte meine Hände in die Hüften. »Toby?«
»Ja?«, kam es aus den Büschen ungefähr sechs Meter hinter uns.
Charlotte stoppte die Aufnahme. »Ich bringe ihn um! Wenn er die ganze Zeit hier war, ist das Band nicht zu gebrauchen.«
»Ich bin erst seit ein paar Minuten da«, versicherte Toby, der unter einem Baum hervortrat. Tannennadeln hingen an seinem Patriots-Sweatshirt.
»Na, ist ja klasse!«, schimpfte Charlotte.
»Schon gut«, sagte ich. »Das ist doch noch etwas, worüber die Geister reden können.«
»Ach, halt den Mund!«
»Drück auf ›Record‹«, forderte ich. »Sonst verpassen wir vielleicht was.«
»Habe ich das richtig verstanden? Ihr zwei nehmt Geister auf, die über Hundedreck quatschen?«
»Nein, Toby«, antwortete Charlotte schnippisch. »Gott! Hau einfach ab, ja?«
»Darf ich nicht ein bisschen zugucken?«
»Da gibt es nichts zu gucken. Du ...«
»Klar«, unterbrach ich Charlotte und sah sie mit hochgezogenen Brauen an. »Du darfst bleiben, wenn du leise bist.«
Charlotte wirkte zufrieden – wahrscheinlich, weil ich wenigstens unfreundlich zu Toby war. Ich setzte mich wieder auf den Baumstumpf, und Charlotte drückte die Aufnahmetaste. Toby hockte sich auf die laubbedeckte Erde. Wir waren so still wie sonst nur in der Schule, sodass man deutlich das leiseQuietschen des Kassettenrekorders hören konnte. Die Räder drehten und drehten sich, lullten mich in einen kleinen Tagtraum, in dem mir meine Mom erlaubte, einen Hund zu haben, den ich dann in diesem Waldstück ausführte. Der Hund wäre ein Beagle, und ich würde ihn Chester oder vielleicht Charlie nennen.
»Hhhhh.« Ein langsames, kränkliches Atmen riss mich jäh aus meinen Gedanken.
» Puuuu- del- puuups «, keuchte es.
Ich kicherte und schlug mir schnell die Hand vor den Mund.
Charlotte sprang auf. »Hau ab hier!«
»Ich schwöre, das war ich nicht«, behauptete Toby, doch sein Grinsen verriet ihn.
»Das war nicht mal witzig«, schimpfte Charlotte mit einem wütenden Blick auf mich. »Verschwindet, ihr beide, wenn ihr das nicht ernst nehmt!«
Toby zupfte an meinem Ärmel. »Komm, gehen wir.«
»Nein, Charlotte«, widersprach ich. »Es ist schon fast dunkel. Du kannst nicht alleine hierbleiben.«
»Ich bleib auch nicht lange, aber ein paar Minuten in Ruhe bringen ganz bestimmt mehr als ... als dieser Quatsch.«
Toby und ich sahen uns an, und ich musste wieder kichern.
Charlotte stupste gegen meine Schulter. »Na los, hau schon ab!«
»Tut mir leid, ich wollte nicht ...«
»Geh jetzt. Wir hören uns das Band morgen an.«
Toby führte mich zurück auf die Straße, und ich war froh, aus dem Wald herauszukommen, selbst wenn das bedeutete, dass ich mit Toby allein war und nicht wusste, was ich sagen sollte.
»Was soll das Ganze überhaupt?«, fragte er, als wir schließlich an der Straße standen. »Seid ihr auf Geisterjagd?«
»So ähnlich.«
»Im Wald? Bringt es nicht mehr, wenn man in alten
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