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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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Natürlich würde das nichts an den Verletzungen ändern, aber zumindest würde es beweisen, dass ich das nicht verdient hatte. Doch je mehr ich mich anstrengte, mich zu erinnern, desto weniger funktionierte es. Mein Kopfwar schlicht leer. Alle Erinnerungen weg. Und nach einiger Zeit kam es mir schließlich vor, als wäre der Versuch, mich zu erinnern, ein Vermeiden der Realität. Dies hier war jetzt mein Leben. Ich musste nach vorn blicken. Ich konnte nur hoffen, dass die Erinnerung irgendwann wiederkäme. Aber ich durfte mich nicht mehr ausschließlich darauf konzentrieren.«
    »Das tut mir leid«, sagte ich blöd. Ich schämte mich, dass ich seinen Unfall in der Bücherei recherchiert und ihn behandelt hatte, als wäre seine Tragödie eine Kleinigkeit neben meiner Suche nach dem Verfasser der Gedichte in einer alten Schulzeitung.
    »Du kannst dir also vorstellen«, fuhr Brian fort, ohne auf meine Bemerkung einzugehen, »wie verstört ich 1996 war ... als ich einen Brief bekam, in dem mir jemand geschrieben – oder vielmehr gestanden – hatte, was damals geschehen war.«
    » Was? «, fragte Charlotte schrill. »War der von Aaron?«
    »Vielleicht bin ich wie ein Berserker gefahren«, erklärte Brian, der sie ignorierte. »Vielleicht wollte ich ein bisschen angeben. Aber ich war nicht der Einzige. Da war ein Wagen hinter mir; man könnte sagen, er hat mich gejagt – oder bloß Quatsch gemacht. Je nachdem, wie man es sehen will.«
    »Und wer saß in dem Wagen?«, wollte ich wissen.
    Wieder betrachtete Brian mich nachdenklich. Wahrscheinlich wollte er sehen, ob meine Frage ernst gemeint war.
    »Aaron Dwyer, Rose und mein Bruder«, antwortete Charlotte leise.
    »Warum?«, fragte ich. »Warum haben sie das getan?«
    Brian sah zu Sally hinüber. »Gute Frage. Den Grund verriet mir die Nachricht, die ich damals bekam.«
    Er griff in seine Hosentasche, holte einen zusammengefalteten Zettel hervor und wandte sich direkt an Charlotte.
    »Eine Zeit lang dachte ich, der Brief wäre von deinem Bruder. Aber der Brief war in Waverly abgestempelt, und als ich versuchte, ihn zu erreichen, sagte man mir, dass er in D.C. an der Uni studiere. Er konnte ihn zwar trotzdem geschickt haben, doch das kam mir unwahrscheinlich vor.
    Abgesehen davon war das Ganze irgendwie krank. Wer hatte das geschrieben? Rose’ Eltern? Ihre Schwester? Das passte nicht so ganz, und ich wollte ihre Familie nicht belästigen, nicht in der Situation. Schließlich dachte ich, dass er vielleicht von einem Kind wäre, dass vielleicht ein Kind den Brief geschrieben hätte, weil es glaubte, dass es das Richtige tut. Ein Kind, das etwas von Rose erfahren hatte – oder von Aaron oder Paul.«
    Brian beobachtete Charlottes Reaktion genau.
    »Darf ich den Brief sehen, bitte?« Sie streckte ihm die Hand hin.
    »Ich hatte ihn völlig vergessen, bis gestern«, fuhr Brian fort, der den Zettel nicht hergab. »Bis meine Schwester mich anrief und mir erzählte, dass ihr beide sie aus heiterem Himmel kontaktiert hättet – ihr zwei, die als Kinder nicht bloß Paul nahegestanden habt, sondern offenbar auch Rose.«
    »Dazu kamen noch die Gedichte aus dem Looking Glass , über die ihr reden wolltet – und die aus dem Jahr 1996 stammten«, ergänzte Sally mit strenger Miene. »Und wie sich herausstellte, als ich sie nachschlug, ging es in denen teilweise um meinen Bruder. Das mit der Schulzeitung ist uns relativ egal, aber meinem Bruder so etwas zu schicken, also das ... das ist etwas anderes.«
    Charlotte schlug die Beine übereinander und rutschte weiter zurück. Ihre Wangen waren nach wie vor gerötet – vor Wut, Enttäuschung oder Scham? Ich wusste es nicht. Brianfaltete den Brief auf, der aus zwei Bögen bestand, wie ich jetzt sah. Er war beidseitig beschrieben und an einer Seite schief, offensichtlich waren die Blätter aus einem Schreibblock gerissen worden.
    »Deshalb frage ich euch, ob eine von euch beiden das hier damals geschickt hat.« Nun reichte Brian Charlotte den Brief. Sie legte ihn auf den Tisch und schirmte ihn mit ihrem angewinkelten Arm ab, während sie las.
    »Den habe ich noch nie gesehen«, sagte sie, sobald sie fertig war.
    »Wir sind inzwischen alle erwachsen«, entgegnete Brian, dessen forscher Ton nicht so recht zu überzeugen vermochte. »Wenn du den geschickt hast, ist das okay. Ich bin nicht sauer. Damals warst du wie alt? Sechzehn? Ich bin deshalb nicht wütend. Ich würde es nur einfach gern wissen. Als sie Rose gefunden haben, wurden – wie

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