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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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fest.
    Mein Gesicht glühte vor Zorn. »Entwickeln« war fast so schlimm wie »Pubertät«, Gott, Charlotte war echt total dämlich!
    »Das ist vielleicht schwer zu glauben, aber es stimmt«, fuhr Charlotte fort, die meinen Blick irrtümlich als Verwunderung deutete. »Wahrscheinlich entwickeln sich deine übersinnlichen Fähigkeiten gerade, und wer weiß, wie stark sie noch werden?«
    Ich schwieg eine ganze Weile.
    »Vielleicht«, begann ich dann zögernd, »entwickeln sich deine ja auch bald.«
    Sehnsüchtig blickte Charlotte auf das Mädchen mit dem fliegenden Telefonhörer. »Das glaub ich nicht«, flüsterte sie.
    »Wieso nicht?«
    »Solche Begabungen sind selten, und zwei Mädchen in derselben Straße, die übersinnlich begabt sind? Nein.«
    Bei »begabt« krümmte ich mich innerlich zusammen. Das hatte sie sicher aus der Schule. Letztes Jahr waren alle getestet worden, und seit Neuestem war Charlotte im »Talented and Gifted«-Programm, einer Art Förderkurs für talentierte und begabte Schüler. Dass ich den Tests zufolge weder begabt noch talentiert war, hatte mich nicht gewundert. Allerdings hatte ich auch nicht damit gerechnet, dass Charlotte es sein könnte.
    »Keine Ahnung«, erwiderte ich.
    Charlotte klappte das Buch zu, brachte es wieder zu ihrem Schrank und kletterte zurück in ihr Bett.
    »Soll ich das Licht ausmachen?«, fragte ich.
    »Meinetwegen.«
    Kurz bevor ich die Lampe ausknipste, sah ich, dass Charlotte an ihrem Haar lutschte.
    »Gute Nacht«, sagte ich und ignorierte ihre traurig klingende Antwort. Ich kroch wieder in meinen Schlafsack.
    Als ich gerade dabei war einzunicken, hörte ich sie leise fragen: »Nora? Schläfst du schon?«
    Nein, ich schlief noch nicht, doch ich reagierte trotzdem nicht. Ein kleiner Teil von mir wollte ihr Flüstern nicht hören. Was auch immer sie mich fragen wollte, sollte sie doch allein im Dunkeln darüber nachgrübeln.

Vier

    22. Mai 2006
    Als Charlotte am nächsten Morgen polternd ins Bad ging, wachte ich auf und öffnete die Tür von Pauls altem Zimmer.
    »Denk nicht mal dran«, befahl Charlotte, als sie mich entdeckte. »Schlaf weiter.«
    »Ich wollte dir noch Guten Morgen sagen.«
    »Okay, das hast du hiermit getan. Es ist Viertel vor sechs. Ich ziehe mich an.«
    »Soll ich dir Kaffee kochen?«
    »Alles schon erledigt, Nora. Die Maschine blubbert bereits.«
    Ich schlurfte in die Küche und sank auf einen der Stühle. Das war das Mindeste, was ich tun konnte: ihr ein paar Minuten Gesellschaft zu leisten, bevor sie sich sieben Stunden lang einem Haufen gehässiger Teenager stellen musste. Fast wäre ich im Sitzen eingeschlafen, doch ein Klappern an der Vordertür schreckte mich auf. Es war der Zeitungsjunge, der die Voice in das Fliegengitter klemmte.
    Ich holte mir die Zeitung und blätterte sie nach Neuigkeiten über Rose durch. Gleich auf der zweiten Seite war ein Artikel, der aber größtenteils nur das wiederholte, was ich schon von dem Link kannte, den Charlotte mir zugeschickt hatte. Es gab lediglich einige wenige neue Details zu dem Fall. So wurde erwähnt, dass Rose zum Zeitpunkt ihres Verschwindens über achthundert Dollar auf einem Bankkonto hatte,von dem ihre Eltern nichts wussten. Damals hatte das Geld die Polizei mutmaßen lassen, dass Rose wegzulaufen plante – auch wenn das Geld nie abgehoben wurde. Außerdem wurde Rose’ Freund in dem Artikel genannt: Aaron Dwyer, der Fußball- und Baseballstar der Waverly High, ein Jahr älter als Rose und zum Zeitpunkt ihres Verschwindens in seinem Abschlussjahr.
    Neben dem Artikel war ein Bild von Rose; es war dieselbe Aufnahme wie damals, als wir Kinder waren. Dennoch machte mich das Foto stutzig, denn irgendwie sah Rose dort nicht so aus, wie ich sie in Erinnerung hatte: Ihr blondes Haar war darauf theatralisch aufgeplustert, obwohl sie es doch gewöhnlich in einem Pferdeschwanz getragen hatte. Und ihr Lächeln, bei dem sie zu sehr die Zähne zeigte, wirkte irgendwie gekünstelt. Es war so ein Gesichtsausdruck, bei dem ich an Cheerleader denken musste.
    Charlotte klackerte auf dicken schwarzen Absätzen in die Küche. Sie trug einen langen schwarzen Rock und ein enges, kurzärmliges lila Oberteil, das zeigte, wie schlank sie immer noch war.
    Nachdem sie sich eine Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, schob ich ihr den Zeitungsartikel hin.
    »Erinnerst du dich an Rose’ damaligen Freund?«
    »Aaron Dwyer?«, fragte Charlotte. »Flüchtig. Paul kannte ihn vom Fußballspielen. Und ich weiß noch, dass ich

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