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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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erkannte, dass es ziemlich weit weg von Waverly sein musste.
    Ein paar Zeilen weiter folgte noch ein Absatz:
    Ich lief über eine Blumenwiese, und ein Auto verfolgte mich. Ich bin gerade noch rechtzeitig weggekommen. Schnell rannte ich in einen Wald am anderen Ende der Wiese. Er wurde von einem runden Stein bewacht, der Noras Lieblingsmegalith ähnlich sah. Das Auto konnte nicht durch die Öffnung. Einen Moment lang blieb ich am Eingang des Waldes stehen und beobachtete, wie der Wagen versuchte, durch das Tor zu kommen. Das würde er nie schaffen. Dann fing ich an zu weinen, denn auch wenn ich dem Auto entkommen war, war ich jetzt im Wald und könnte nie wieder raus.
    Mein Becher knallte auf die zweite Verandastufe und zerbrach. Kaffee spritzte auf den Beton und meine Füße. Ich schrie und sprang auf, wobei zwei der schwarzen Bücher von der Treppe fielen. Eilig lief ich in die Küche, um einen Lappen zu holen. Dann sammelte ich die Scherben zusammen und wischte den Kaffee von den vergilbten Seiten und den Stufen. Ich kam mir bescheuert vor. Was hatte mich denn so erschreckt? Wenn Charlotte schon ein Gedicht über einen von Rose’ Träumen schrieb, war es doch eigentlich nicht verwunderlich, dass sie dasselbe auch mit einem anderen tat.
    Ich hockte mich wieder mit den Papieren auf die Stufen. Dort stand – unter dem Autotraum und mit einem späteren Datum versehen
    Ich hing an einer Wäscheleine, irgendwo hoch in der Luft. Sie war so weit oben befestigt, dass ich den Boden nicht sehen konnte. Zuerst machte es sogar Spaß, bis ich feststellte, dass ich nur an der Unterwäsche meiner Mutter und einer zierlichen Wäscheklammer hing. Ich versuchte, mich ans Leinenende zu hangeln, setzte eine Hand neben die andere, von Wäschestück zu Wäschestück. Doch es war kein Ende in Sicht; die Leine schien immer weiterzugehen. Irgendwann hielt ich an und lachte, weil alles so lächerlich war. Ich wollte nicht glauben, was da passierte, und begann zu vermuten, dass ich träumte. In dem Moment rutschte das Hemd, an dem ich mich festhielt, von der Leine, und ich fiel. Kurz bevor ich auf der Erde aufschlug, wachte ich auf.
    Okay, dieser Text war also die Grundlage für das Gedicht gewesen, das Charlotte mir am ersten Abend vorgelesen hatte. Ich fragte mich, warum sie ausgerechnet den ausgesucht hatte. Sollte ich mich aus irgendwelchen Gründen an diesen Traumvon Rose erinnern? Ich blätterte weiter und fand einige getippte Seiten, die mir bekannt vorkamen.

    Du
    Die Turnmatten sind von einem schmerzhaft fröhlichen Blau,
    doch in ihnen steckt der Schweiß aus einem Jahrzehnt Hintern und Unterarmen.
    Wahrscheinlich von einer unsichtbaren Ringelflechte durchwirkt ...
    Es war eines der Gedichte aus dem Looking Glass , wahrscheinlich fotokopiert, und zwar aus der Ausgabe von 1996, die ich gestern erst gesehen hatte. Dieselbe Typografie, dasselbe Layout und der Name eines anderen Mädchens aus unserer Klasse unter dem Gedicht, das dem von Charlotte folgte.
    Und danach kam noch eins:

    Du
    Du läufst durch ein Feld im Sonnenschein.
    Ein roter Datsun jagt dir nach,
    lässt den Motor heulen und pflügt
    Gras und Wildblumen.
    Gleich dahinter klemmte:

    Du
    Eine riesige Wäscheleine am Himmel –
    so weit oben, dass man den Boden kaum sieht.
    Du klammerst dich an ein dünnes T-Shirt.
    Es reißt gleich ...
    Bei allen Gedichten aus dieser Ausgabe des Looking Glass war der Inhalt identisch mit Rose’ Traumbeschreibungen, lediglich aufgepeppt mit Zeilenbrüchen und etwas blumigeren Ausdrücken.
    Und offenbar hatte Charlotte ihre Veröffentlichungen aus der Schulzeitung kopiert, um sie an die entsprechenden Traumaufzeichnungen von Rose zu heften. Vor Kurzem erst? Oder gleich nachdem sie sie geschrieben hatte, damals, als wir noch auf der Highschool waren? Das Ganze war vielleicht ein bisschen unheimlich, aber es passte durchaus zu Charlottes damaliger Fixierung auf Rose. Vielleicht hatte sie die während der Highschooljahre beibehalten. Und wer war ich schon, jemandem ein bisschen verrücktes Teenager-Gebaren vorzuhalten?
    Ich überflog die restlichen Papiere. Als Nächstes kam noch eine Notizblockseite mit Rose’ Handschrift – diesmal war der Text relativ nachlässig hingekritzelt worden:
    Letzte Nacht träumte ich, dass ich in einem Zimmer war, in dem das Tapetenmuster für einen Augenblick lebendig wurde. Aber es erstarrte gleich wieder zu Tapete. Und dann war alles wieder dumpf – und ich allein.
    Danach folgte ein Auszug aus dem

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