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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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vielen Fächern allerdings hatte sie sich auch im Durchschnitt bewegt und war deshalb mit mir in den normalen Kursen gewesen. Oder vielleicht wollte sie auch nur leichteran die Einsen kommen, das wusste ich natürlich nicht. Ich sah sie noch genau vor mir, denn sie hatte sich während der gesamten Schulzeit nicht verändert: braunes Haar, schulterlang und kraus, am Hinterkopf zu einem Halbzopf gebunden. Bei ihrem Gesicht musste ich immer an eine Spielkartenkönigin denken – herzförmig, stets ernst und mit einem winzigen Mund, der meistens zu einem ruhigen, nicht zu deutenden Ausdruck verzogen war. Sie hatte nur selten gelächelt, aber wenn sie es tat, entblößte sie eine niedliche, kindlich anmutende Lücke zwischen den Schneidezähnen.
    Ich schlug das Impressum des Looking Glass auf. Ihr Name stand nicht drin. Egal. Sie könnte die Gedichte anonym eingereicht haben. Doch woher hätte sie Rose’ Träume kennen sollen? Soweit ich wusste, hatte sie nicht einmal Rose gekannt. Andererseits gab es ja auch keine direkte Verbindung zwischen den lächelnden Löwen oder den Zähnen und Rose’ Träumen. Hatte sie eventuell nur dieses eine Gedicht geschrieben? Das würde zwar nicht erklären, wieso es den anderen so ähnelte oder warum in einem der anderen ebenfalls ein Datsun auftauchte, aber möglich wäre es dennoch.
    Ob die Pilkington-Kinder wohl noch in Waverly wohnten? Ich wusste, dass Brian aufs College gegangen war – bestimmt hatte Sally es mal erwähnt. Ein Jahr lang war Sally auf der Highschool meine Laborpartnerin in Chemie gewesen. Wir waren zwar nicht befreundet, kamen aber gut miteinander aus, und ich hätte den Kurs ohne sie wohl nie geschafft. Während ich die simplen Arbeiten erledigte, stellte sie die Hypothesen auf und zog die Schlüsse. Normalerweise war ich gar nicht schlecht in Naturwissenschaften, nur war mein Gehirn in dem Jahr mit anderem Mist vollgestopft gewesen. Rückblickend musste ich sagen, dass Sally sehr viel Geduld mit mirbewiesen hatte, mehr als ich verdient hatte. Vor unserem Abschluss erzählte sie mir, dass sie sich einen Job suchen würde, statt aufs College zu gehen. Damals hatte ich das Gefühl, dass ich sie nicht gut genug kannte, um sie nach dem Grund für ihre Entscheidung zu fragen. Am Schluss unterschrieben wir gegenseitig in unseren relativ kahlen Jahrbüchern. Alles in allem war es vielleicht gar keine so verrückte Idee, sie einfach mal zu kontaktieren und zu fragen.
    Nachdem ich mir eine Kopie von dem Zeitungsartikel gemacht hatte, setzte ich mich vor einen der Büchereicomputer mit Internetanschluss. Die Hörnchenfrau blickte zu mir herüber. Gewiss hatte schon lange niemand mehr die vielfältigen Angebote der Bücherei von Waverly so intensiv genutzt.
    Ich gab »Sally Pilkington« und »Connecticut« auf den Telefonbuchseiten ein. Es erschienen ein Eintrag in Fairville und einer in Wilton. Dann googelte ich sie. Es gab eine Sally Pilkington-Moore, die Tierarzthelferin in Fairville war. Auf der Website der Tierklinik waren keine Bilder, also versuchte ich es mit Sally Pilkington-Moore bei Facebook, und dort war ein Profilfoto von einer brünetten Frau mit einem Baby. Dasselbe zarte kleine Gesicht, dieselbe Zahnlücke beim Lächeln. Auch das Baby lächelte eins von diesen sehr glücklichen Halbmond-Babylächeln. Ein hübsches Foto. Heutzutage war Stalking verflucht leicht, dachte ich.
    Ich klickte »Sally eine Nachricht schicken« an und tippte ein, dass ich nach vielen Jahren mal wieder in Waverly sei, um Charlotte Hemsworth zu besuchen. Nach einigem Überlegen schrieb ich auch, dass Charlotte und ich eine kleine Meinungsverschiedenheit hätten wegen einer Sache aus der Highschoolzeit, an die wir uns beide nicht mehr richtig erinnern könnten, und dass ich dachte, Sally könne das Ganzevielleicht klären. Eventuell könnten wir uns ja mal auf einen Kaffee treffen oder so.
    Als ich fertig war, las ich die Zeilen wieder und wieder. Sie waren in dem gekünstelt lockeren Tonfall gehalten, den man auf Facebook anschlug. Nur war Sally einer der unlockersten Menschen gewesen, die ich auf der Highschool gekannt hatte, und sollte sie auch nur entfernt noch so sein, wie ich sie in Erinnerung hatte – was man bestenfalls als vage bezeichnen konnte –, würde diese Nachricht sie abstoßen. Mehrere Minuten lang besserte ich die Sätze nach, bis ich feststellte, dass meine zwanzig Minuten am Computer beinah vorbei waren. Ich steuerte den Cursor auf »Abschicken«. Sollte ich? Oder

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