Rosenrot
jetzt noch jemand hier war, wurde immer geringer, nicht Kerstin, noch weniger Lundmark, und ganz bestimmt nicht Anders Sjöberg.
Auf alles gefasst sein. Norlander hatte die Ehre, die Tür einzutreten. Dazu bedurfte es keiner größeren Kraftanstrengung. Die Tür flog auf. Die A-Gruppe flog hinein. Mit gezogenen Waffen. Und wie zu erwarten, war die Wohnung leer.
Unerhört leer.
Außerdem durchsucht – oder offensichtlich verwüstet. Jemand hatte die Wohnung durchsucht und gleichzeitig alles kurz und klein geschlagen. Das extrem spärliche Möblement war ausnahmslos zertrümmert. Der Badezimmerspiegel war zerschlagen, ein Blutfleck prangte in der Mitte, als hätte jemand mit der Faust hineingeschlagen. Blut im Waschbecken, Blut auf dem Fußboden, Blut an den Wänden.
Und es war Kerstins Blut. Paul ging mit dem Finger an den größten Blutfleck, den im Spiegel. Er betrachtete das Blut an seinem Zeigefinger, roch daran, leckte es ab.
Doch, es schmeckte nach Kerstin.
Sie lebte. Auf jeden Fall hatte sie vor einer Stunde gelebt.
Arto Söderstedt sagte: »Ich rufe an und kontrolliere die letzten Tage.«
»Gut«, sagte Paul.
Chavez stand in der Küche, als Paul hereinkam. Er hielt den Arm um die Schultern seiner Frau. Sara Svenhagen weinte ganz leise und ruhig. Es war schnell vorbei. Dann schloss sie sich den anderen an.
Paul fand, dass das kurze, schnelle, stumme Weinen die Lage perfekt zusammenfasste.
In der Küche war nichts. Der kleine Küchentisch, der von der Wand abzuklappen war, hing nur noch in verbogenen Scharnieren. Die wenigen Teller, Gläser und Becher lagen zerschlagen auf dem Boden. Der Kühlschrank war leer, die Gitter waren herausgerissen. An der Kühlschranktür haftete ein einsamer Magnet in Form eines Herzens. Die Küchenschubladen waren viel zu weit herausgezogen. Der Mülltütenhalter war zertreten.
Und auf dem Küchenfußboden lag ein prächtiger Klacks von Erbrochenem.
»Hier«, sagte jemand von weit weg.
Hjelm verließ die Küche. Die Stimme kam aus dem Badezimmer.
Gunnar Nyberg hatte die mit einem Plastikhandschuh versehene Hand in der Kloschüssel und fischte kleine Papierfetzen in bunten Farben heraus. »Es ist eine zerrissene Fotografie«, sagte er und fischte weiter. Als er fertig war, drückte er die Stücke an die Kacheln. Puzzleteile. Er fing an, das Puzzle zu legen. Hjelm ließ ihn allein.
Viggo Norlander ging den Bereich um das umgeworfene Bett durch. Kleiderschränke, Nachttische. In einer Schublade lag eine Quittung, das war alles. Eine Ikea-Quittung. Er hielt sie Hjelm hin.
»Alle Möbel«, sagte Norlander. »Alles, bis hin zum Besteck, ist am ersten Juni gekauft worden.«
»Am selben Tag, an dem der Mietvertrag unterschrieben wurde«, sagte Arto Söderstedt mit der Hand über dem Telefonhörer. Dann nahm er die Hand fort und sprach in den Hörer: »Ja, ich bin noch da. Ich warte. Aber beeilen Sie sich.«
Hjelm kehrte zur Toilette zurück. Nybergs Puzzle nahm Form an. Die untere Hälfte war fertig. Es klebte an der Kachelwand. Zwei Beinpaare. Ein größeres und ein kleineres.
»Da«, sagte Hjelm und tippte darauf.
»Danke«, sagte Nyberg mit einem schiefen Grinsen.
Hjelm ging zurück in die Küche. In einer Ecke hatte das Paar Svenhagen-Chavez einen kleinen Haufen schwarzer Plastikteilchen zusammengefegt.
»Was ist das?« fragte Hjelm.
Chavez suchte in dem Haufen und fand eine halbe Fünf. »Von der Tastatur eines Handys«, sagte er.
»Deshalb hat sie vom Festnetz nach Dänemark telefoniert«, sagte Sara. »Der Akku ihres Handys war leer. Und da hat sie es an die Wand gefeuert. Es ist kaputtgegangen. Sie hat die Reste aufgehoben. Den Fitzelkram hat sie liegen lassen. Die letzten Anrufe hat sie vom normalen Telefon gemacht.«
»Wir müssen auch die Gespräche von ihrem Handy kontrollieren«, sagte Hjelm.
Dann ging er in den Flur zurück. Söderstedt stand in einem komischen Winkel und schrieb etwas auf einen zerknitterten Zettel, der in der Fensternische lag.
»Danke«, sagte er schließlich. »Es wäre schön, wenn Sie auch sagen könnten, wohin die Nummern gehen. Soweit möglich. Ja, ich warte.«
»Was Bekanntes dabei?« fragte Hjelm.
»Bist du ein sogenannter Vorarbeiter?« fragte Söderstedt. »Ist es dein Job, herumzulaufen und nichts zu tun?«
»Ich koordiniere und behalte den Überblick«, sagte Hjelm.
»Sieben Nummern«, sagte Söderstedt. »Zwei sind uns bekannt. Dieselben wie in Lundmarks Krankenakte. Zuerst diese Kierkegaard in Kopenhagen. Dann
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