Rosenrot
aufzufangen.
O Zeichen des Alters, dachte er poetisch.
Schließlich kam die Fortsetzung: »Wir haben die gestrigen
Verhöre auf DVD zusammengestellt. Es wird sonst ein bisschen unübersichtlich. Es sind so viele Beteiligte. Paul und Kerstin vernehmen Polizisten – ich, Jorge und Gunnar Afrikaner.«
Hultin nickte dankbar. Die Technik machte zweifellos Fortschritte. Es war ein Segen, nicht mehr Stapel von schlampigen maschinengeschriebenen Vernehmungsprotokollen mit aufsehenerregenden Mengen von Rechtschreibfehlern durchsehen zu müssen. Anderseits fing er an, das Durchblättern von Papierstapeln zu vermissen. War es doch sein Wahrzeichen gewesen.
Dennoch überkam ihn ein Gefühl von Geschenk-in-geriatrischer-Klinik. Wenn dieses Gefühl denn nachvollziehbar ist. »DVD?« fragte er skeptisch, statt seiner Dankbarkeit Ausdruck zu geben.
»Das ist wie ein Videoband«, sagte Sara Svenhagen und sah aus, als wäre sie nicht darauf aus, den Technischen Grundkurs 1A für Pensionäre mit ihm durchzugehen. »Du kannst es am Computer lesen. Einfach die Scheibe einschieben. Aber es gibt auch einen nagelneuen DVD-Spieler im Videoraum. An dem haben wir letzte Nacht gesessen und herumgespielt.«
Sollte das junge Paar nicht ganz andere Spiele spielen? dachte Hultin. Aber er sagte: »Lass mich raten. Es war Jorges Idee.«
»Tja«, sagte Sara und zuckte mit den Schultern.
Im Videoraum stand Jan-Olov Hultin jetzt auf und hielt Niklas Grundström die kleine magische Scheibe vor die Nase. Grundström nickte. »DVD«, konstatierte er ruhig.
Als Jan-Olov Hultin mit vorgetäuschter Routine die Scheibe in das nagelneue Gerät gleiten ließ, empfand er teils Genugtuung darüber, die richtige Öffnung gefunden zu haben, teils Enttäuschung darüber, dass es nicht mehr gelingen wollte, Menschen zu imponieren.
Das Gefühl verflog rasch. Das war der Vorteil des Älterwerdens. Alles geht schnell vorbei.
»Die Verhöre von gestern?« wollte Grundström wissen und setzte sich zurecht.
»Hoffentlich«, sagte Hultin und tat desgleichen. Die Stühle standen viel zu nah beieinander, aber jetzt war es zu spät, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ihre Schultern berührten sich die ganze Zeit. Die falsche Intimität bereitete ihm nahezu Übelkeit.
Aber auch dieses Gefühl verschwand schnell. Die Videoaufnahmen der A-Gruppe hatten eine Tendenz zu sonderbaren Überraschungen, so dass er nicht ohne eine gewisse Erwartung sah, wie der Krieg der Ameisen durch ein erkennbares Bild ersetzt wurde. Leider aus seinem eigenen Büro. Das verhieß nichts Gutes. Er ahnte eine Verschwörung.
Hultins Schreibtisch. Dahinter, sitzend, Hultin selbst. Vor dem Schreibtisch, stehend, kerzengerade wie ein Schuljunge im neunzehnten Jahrhundert, Arto Söderstedt in Erwartung des Lineals.
Spät gestern Nachmittag, dachte der Detektiv in Hultin. Eine Person war nicht im Bild. Ein videoversessener Herr mit Schultertasche. Darin musste Viggo Norlander den Camcorder versteckt haben.
Um heimlich zu filmen.
Hultin schüttelte den Kopf und fixierte sein Abbild auf dem Bildschirm. Das Abbild war merklich verschlimmert. Tatsache war, dass es im Innern kicherte. Irgendwie war es ein gutes Gefühl, ein Chef zu sein, mit dem man tatsächlich einen Spaß zu treiben wagte. Er selbst sah sich nicht so. Leider. Störend war nicht, dass das Abbild verschlimmert war, sondern dass es so alt aussah. Und die Nase schien überhaupt nicht mehr aufzuhören.
Wie bei einem gealterten Pinocchio.
Grundström warf einen verwunderten Blick auf ihn. Hultin wahrte natürlich die Maske und zuckte mit den Schultern.
Dann ging es los.
»Verschwunden?« sagte Abbildhultin mit absoluter Neutralität.
»Ehöm«, murmelte Söderstedtabbild. »Tja ...«
»Zwei erfahrene Detektive holen einen gealterten Einbrecher aus der Untersuchungshaft und lassen ihn während eines Routineauftrags abhauen?«
»Tja, also ... Vielleicht kann man ...«
»Könntest du nicht dein Gehirn mal aus Italien kommen lassen – zumindest für einen kurzen Besuch?«
»Es ... stank...«
»Ich verstehe«, sagte Hultin, und seine Milde ließ einen so verhärteten Menschen wie Niklas Grundström erschaudern. »Es stank so schlimm, dass zwei erfahrene Polizeibeamte einen von Schwedens schlimmsten Einbrechern auf freien Fuß setzten. Ich verstehe. Ist ja vollkommen logisch.«
»Das Schlupfloch«, sagte Söderstedt wie ein von Aphasie Befallener.
»Na, das macht es schon wesentlich klarer«, erwiderte Hultin boshaft. »Ein
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