Rosenrot
nicht unmöglich, dass es schon geschehen war.
Sicherheitshalber indoktrinierte er Mörner täglich mit der These, dass der neue Chef aus der Gruppe kommen müsse.
Und da gab es einige, die sich anboten.
Viggo Norlander war kaum geeignet als Chef. Möglicherweise Sara Svenhagen. Aber noch nicht. Sie fielen aus, jeder auf seiner Seite der Altersgrenze.
Aber eigentlich alle anderen.
Ginge er nach jugendlicher Energie, Computerkenntnissen und qualifizierter interner Ausbildung, wäre Jorge Chavez die natürliche Wahl.
Ginge er nach logischem Kombinationsvermögen und juristischer Fingerfertigkeit, um nicht von schierer Pfiffigkeit zu reden, müsste die Entscheidung zugunsten von Arto Söderstedt ausfallen.
Wäre das Auswahlkriterium unbeugsame Entschlossenheit und richtig altmodische Handlungskraft, könnte es sogar Gunnar Nyberg werden.
Bei diesem Gedanken hielt er einen Moment inne und versuchte, sich die Verhaltensmuster der A-Gruppe mit Gunnar Nyberg als Chef vorzustellen. Wahrlich interessante Bilder zeigten sich da.
Aber im Grunde kamen nur zwei in Betracht, zwischen denen die Entscheidung fallen musste: Paul Hjelm und Kerstin Holm. Und wenn einer der beiden einen gewichtigen Chefposten in der Internabteilung bekam, war die Bahn frei für den anderen. Dann hätte er ein Jahr Zeit, um Mörner mit einem einzigen Namen zu bearbeiten.
Außerdem kam er auf diese Weise drum herum, die Entscheidung selbst zu treffen.
Denn für Jan-Olov Hultin war es wirklich gehupft wie gesprungen. Holm war geschmeidiger, vielleicht sogar tüchtiger, hatte aber eine Menge noch Unbefreites und Unbearbeitetes in sich. Hjelm war effizienter, vielleicht ein bisschen klarsichtiger, aber möglicherweise hatte er angefangen zu stagnieren. Es passierte nichts Neues mehr in seinem Leben. Über Holm wusste er hingegen erstaunlich wenig.
Aus den genannten Gründen war Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin dem erstaunten Niklas Grundström mit offenen Armen entgegengekommen. Keiner von beiden fühlte sich in dieser Situation ganz wohl in seiner Haut. Grundström war es gewohnt, mit Widerwillen betrachtet zu werden. Hultin war es gewohnt, skeptisch zu sein. Statt dessen also diese künstliche Herzlichkeit, der beide instinktiv misstrauten. Auf diesem unsicheren Boden bauten sie ihre vorübergehende Gemeinsamkeit.
Und folglich bildete Hultin sich ein, dass Grundström ständig nach versteckten Motiven in seinen Gesichtszügen suchte. Doch da suchte er vergebens. Nur wenige verstanden sich so gut auf die edle Kunst der Undurchdringlichkeit wie Jan-Olov Hultin.
»Setzt ihr immer so fleißig Video ein?« fragte Niklas Grundström, als er Schulter an Schulter mit Hultin in dem engen Videoraum im Polizeipräsidium saß.
»Viggo Norlander hat es eingeführt«, sagte Hultin neutral. »Er macht gern Videoaufnahmen. Du solltest ihn dir ein bisschen genauer ansehen. Für deine leitende Kommissarstellung in der Stockholmsektion für interne Ermittlungen.«
»Das habe ich schon getan«, sagte Grundström ebenso neutral.
»Ich verstehe«, sagte Hultin.
Es war Mittwoch, der fünfte September. Früher Morgen. Hultin hatte den Tag damit begonnen, die Überstundenmeldungen vom Vortag durchzusehen, und konnte zu seiner Genugtuung feststellen, dass alle Untergebenen kräftig Überstunden angeschrieben hatten. Das ließ auf etwas schließen. Und zwar auf entschieden mehr als Begeisterung darüber, für die Internabteilung arbeiten zu dürfen. Möglicherweise, möglicherweise das Gefühl, dass etwas am Horizont heraufzog. Obwohl das vielleicht nur der letzte professionelle Wunschtraum eines angehenden Pensionärs war. Der Alltagstrott ging ihm allmählich auf die Nerven. Es war an der Zeit für ein bisschen mehr, tja, Action ...
Hultin wollte sich gerade auf den Weg zur morgendlichen Zusammenkunft in die Kampfleitzentrale begeben, als Sara Svenhagen in sein Büro stampfte. Sie sah wie zerschlagen aus. Ihre Augen waren gerötet, und sie wirkte ein bisschen plump und aufgequollen. Das war nicht die liebliche Frauenblüte, an die er – als guter alter Macho – gewöhnt war.
Sie reichte ihm etwas, was wie eine CD aussah, und sagte: »Jorge und ich haben die ganze Nacht hiermit verbracht.«
Hultin blickte auf die silberglänzende Scheibe und wartete auf die Fortsetzung. Er machte sich ein wenig Sorge, Sara könnte im Stehen einschlafen und ihm wie eine Kiefer in die Arme fallen. Aber noch mehr Sorge bereitete ihm der Gedanke, er würde es nicht schaffen, sie
Weitere Kostenlose Bücher