Rosenrot
seiner Hosentasche ein Taschentuch herausangelte. Hagman brachte sie sogleich zum Schlafzimmer.
Der Tod ist selten schön, aber hier war er über die Maßen hässlich. Ekelerregend, ganz einfach. Ein Meer von Leichenwürmern im Bett und im Zimmer verteilt. Ein fast gänzlich in Auflösung befindlicher Körper ohne Gesicht, ohne Konturen. Ein Körper in flüssiger Form.
»Ja, du«, sagte Söderstedt, durch ein ziemlich schmutziges
Taschentuch gedämpft, »und von diesem Gestank hast du also nicht das geringste gemerkt?«
»Das tu ich jetzt auch nicht«, sagte Hagman. »Tut mir leid.«
»Das braucht dir nicht leid zu tun«, sagte Norlander. »Freu dich lieber. Wo lag der Brief?«
»Auf dem Nachttisch. Neben den Fünfhundertern.«
»Die sind für die Beerdigung«, sagte Söderstedt und beugte sich über das Meer von Leichenwürmern. »Wenn auch nur ein einziger Schein fehlt, wenn wir diesen Raum verlassen, sind all unsere Absprachen ungültig.«
»Ich will sie nicht haben«, sagte Hagman und starrte angeekelt auf den Geldscheinstapel.
»Woher weißt du, dass sie für die Beerdigung sind?« fragte Norlander.
»Das steht in dem Brief«, sagte Söderstedt. »Da steht eine ganze Menge.«
Sie sahen sich im Schlafzimmer um. Es gab nicht viel zu sehen. In Regalen an den Wänden ziemlich viele Bücher. Wahrscheinlich musste alles weggeworfen werden. Sogar die Erstausgabe von Gunnar Ekelöfs Dedikation, die Söderstedt erkannte, bevor er gezwungen war, das Zimmer zu verlassen.
»Darf ich etwas vorschlagen?« sagte Norlander weltgewandt, während sie zur Wohnungstür liefen. »Lies den Brief. Aber diesmal laut.«
Wie zwei angeschossene Elchkühe stürzten sie die Treppe hinunter und gelangten nach einer Zeit, die ihnen unendlich lang vorkam, hinaus auf die spätsommerliche Wollmar Yxkullsgata. Da hielten sie eine Weile inne und hyperventilierten wie zwei übermotivierte Thaiboxer.
»Herrgott«, keuchte Norlander. »Und gerade, wenn man glaubt, man hätte alles gesehen.«
»Ja«, hechelte Söderstedt. »Eine Lehre fürs Leben: Es gibt immer noch etwas Schlimmeres.«
Dann blickte Viggo Norlander um sich. »Aber wo ist Hagman, verdammt?« rief er.
10
Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin war sich nicht völlig darüber im klaren, was er von seinem Kollegen von der Sektion für interne Ermittlungen halten sollte. Es geschah ihm immer häufiger und war inzwischen das sicherste aller Altersanzeichen, die ihn zu umgeben begannen. Er hatte eigentlich ein gutes Gespür für Menschen – das hatte er stets für seine hervorragendste Führungseigenschaft gehalten. Aber immer häufiger stand er vor jüngeren Kommissarkollegen, die mit grotesken Vokabeln um sich warfen wie zum Beispiel gerade ›Führungseigenschaften‹. Und diese Kollegen waren es, von denen er nicht recht wusste, was er von ihnen halten sollte. Sie standen sich Auge in Auge gegenüber, sie hatten den gleichen Beruf, den gleichen Rang, sie sprachen die gleiche Sprache. Vieles hätte sie vereinen sollen. Dennoch war es so, als ob die Worte für sie nicht das gleiche bedeuteten.
Wie als Niklas Grundström in seiner Tür erschien und seinen Bedarf auf folgende Weise formulierte: »Ich suche eine hochkompetente polizeilich ausgebildete Person für eine leitende Kommissarposition in der Stockholm-Sektion der Abteilung für interne Ermittlungen.«
Hultin wusste ganz einfach nicht genau, was das bedeutete.
Nicht genau.
Er wusste jedoch, dass die A-Gruppe in nicht allzu ferner Zukunft eine große Veränderung erleben würde. Nämlich wenn er in Pension gehen würde. Intensive Gespräche mit seiner Ehefrau Stina und mit seinem einzigen wirklichen Freund Erik Bruun, seinem früheren Chef, hatten ihn dahin gebracht, die Seiten zu wechseln. Er wusste inzwischen, dass es trotz allem gar nicht so blöd war.
Pensioniert zu sein.
Er war immerhin vierundsechzig Jahre alt.
Es würde sich also vieles verändern. Er war sich nicht sicher, ob Waldemar Mörner, der formelle Chef der A-Gruppe, die innere Dynamik der Gruppe begriffen hatte – oder überhaupt irgend etwas im Universum. Deshalb existierte noch immer ein gewisses Risiko, dass Mörner darauf verfallen könnte, einen externen Kommissar von der neuen Schule zu rekrutieren. Kommissarberater? Beratender Kommissar? Er fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis Polizisten eigene Beratungsfirmen gründeten und sich von der Polizei anheuern ließen. Ungefähr wie jetzt schon Ärzte und Krankenschwestern.
Es war
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