Rosenrot
Schlupfloch hat gestunken. Und ich dachte, es stinke nach dummem Gequatsche.«
Arto Söderstedt stand weiterhin vollkommen still da und sah aus, als hätte er nun auch noch das Gehör verloren. Schließlich fasste er sich und sagte mit deutlicher Betonung, als hätte er die abhanden gekommene Sprache wiedergefunden: »Ein gerissener Halunke, unser Björn Hagman. Er führte uns zielstrebig an einen Ort, der jeden Menschen mit intaktem Geruchssinn umhauen würde. Er erkannte, dass er aus unserem Mangel an Aufmerksamkeit Vorteil ziehen und verschwinden könnte. Er verdeckte ein Schlupfloch mit einem anderen Schlupfloch. Es war subtil.«
Hultin – das Original – dachte: Bin ich nicht im Verlauf des gestrigen Tages auf einen ähnlichen Gedanken gestoßen?
Hultin – das Abbild – sagte: »Subtil oder nicht subtil, schon morgen wird Björn Hagman eine weitere Wohnung besudelt haben. Schon morgen wird wieder eine Familie ihre Familienalben von den Händen eines Verbrechers beschmutzt vorfinden. Schon morgen wird einem Behinderten der für seinen Lebensunterhalt wichtige Computer gestohlen. Und es ist alles euer Fehler.«
»Vielleicht eine Spur übertrieben«, sagte Niklas Grundström.
Hultin starrte ihn verblüfft an.
Auf dem Bildschirm sagte eine unverkennbare Stimme: »Ich glaube, er wird im Bett liegen.«
Hultins und Söderstedts Blicke richteten sich direkt in die Kamera.
»Kann die auch sprechen?« sagte Hultin schließlich.
»Das Hongkonggerippe«, sagte die unverkennbare Stimme. »Er darf mich nicht angesteckt haben. Ich habe Kleinkinder zu Hause.«
Die Blicke verweilten einen Augenblick auf der Kamera. Dann sagte Söderstedt: »Er hätte so oder so gehen dürfen.«
»Wieso das?« stieß Hultin hervor.
Söderstedt wedelte mit einem zerknitterten Blatt Papier. »Aufgrund dessen hier«, sagte er. »Es ist der Abschiedsbrief eines Mannes namens Ola Ragnarsson. Er ist ausgesprochen interessant.«
Hultin auf dem Bildschirm seufzte tief, sah auf die Uhr und lehnte sich zurück. Dann sagte er: »Das heben wir uns bis morgen auf. Ich werde die Nacht damit verbringen, mir disziplinarische Maßnahmen zu überlegen. Im Moment geht die Tendenz dahin, dass Niklas Grundström sich eurer annehmen wird.«
Das Bild blieb genau in dem Moment stehen, als Hultin sich erhob. Er verharrte in einer eigentümlichen Position, den Hintern in die Luft gereckt. Und der war ansehnlich. Leider.
Hultin betrachtete die Fernbedienung in Niklas Grundströms Hand; erst danach begegnete er dessen leicht finsterem Blick.
Es war eine tiefreichende Verschwörung. Nahezu eine Meuterei. Söderstedt und Norlander hatten ihr heimlich aufgenommenes Video an Svenhagen und Chavez weitergereicht, die es auf die DVD überspielt hatten, von der ihnen klar war, dass
Hultin sie gemeinsam mit Grundström ansehen würde. Hier lag Unheil in der Luft.
»Jahaja«, sagte Grundström kühl. »War das wirklich die schlimmste Drohung, die dir in den Sinn kam?«
Hultin zog es vor, sich sein ansehnliches hervorstehendes Hinterteil zu betrachten, statt Grundströms Blick zu begegnen. »Im Eifer des Gefechts«, sagte er neutral.
Da lachte Niklas Grundström tatsächlich. Hultin hörte es zum ersten Mal: ein unerwartet helles Jungenlachen. Als wäre es seit der Kindheit konserviert worden und seither nicht benutzt worden.
»Machen wir weiter«, sagte Grundström, als er zu Ende gelacht hatte.
Eine gute Minute später.
Und sie machten weiter:
gunnar nyberg: Sie heißen also Sembene Okolle und kommen aus Uganda?
sembene okolle: Ja. Und ich bin sehr dankbar, dass das Verhör auf englisch geführt wird. Ich habe es nicht geschafft, besonders gut Schwedisch zu lernen. Und jetzt soll ich abgeschoben werden. Dann war es wohl auch am besten so.
gunnar nyberg: Warum flieht man aus Uganda? Wenn Sie meine Unwissenheit entschuldigen.
sembene okolle: Es gibt viele Gründe. Aber alle haben einen gemeinsamen Nenner. Gewalt.
gunnar nyberg: Und wie war es in Ihrem Fall?
sembene okolle: Ich komme aus Norduganda, aus dem Kitgumdistrikt. Dort wütet eine bewaffnete Widerstandsbewegung, die sich Lord‘s Resistance Army nennt. Ihre Spezialität ist es, Kinder zu kidnappen und sie zu Soldaten auszubilden. Was nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, dass achtzig Prozent von ihnen selbst gekidnappte Kinder sind.
Sie haben gelernt, dass man es so macht. Im Oktober letzten Jahres nahmen sie mich aufs Korn, weil ich Schauspieler bin. Das ist das gleiche, wie schwul zu
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