Rosenrot
sich einen gesunderen, heilsameren, sinnvolleren Selbstmord vorzustellen‹. Danach kommt die geographische Präzisierung: ›ein Acker zwischen Grönby und Sörby‹. Und dann beginnen die Höllenflammen an seinem sündigen Körper zu schlecken. Alles bricht zusammen. Er kann seinen beherrschten Stil nicht beibehalten. Er stirbt.«
»Gott sei Dank«, sagte Viggo Norlander.
»Das Interessante an diesem Brief«, sagte Arto Söderstedt, »ist seine ganz bewusste Konstruktion. Er folgt einem klassischen rhetorischen Muster, könnte man sagen, bei dem Punkt um Punkt in einer logischen und sich steigernden Folge abgehandelt wird. Der Höhepunkt ist die geographische Präzisierung, der Epilog ist der Zusammenbruch der Syntax. Noch angesichts des Todes behält er seine Eiseskälte bei. Aber die Passagen mit ›der Geliebten‹ sind ein fremdes Element. Sie stören den logischen Aufbau und erscheinen als willkürlich eingestreute Passagen. Begreifst du, was ich sage, Würstchenbudenfritze?«
»Schnauze«, sagte Viggo Norlander.
»Genau so: das Erwartete. Ola Ragnarsson sagt das Erwartete, das, was von der rhetorischen Struktur her erwartet wird – überall, nur da nicht. Entweder bedeutet der Gedanke an die Geliebte, dass er für einen kurzen Augenblick von Gefühlen überwältigt wird, oder aber – und das würde besser zum übrigen Brief passen – es ist ihm äußerst wichtig, dass gerade diese Passagen mitkommen.«
»Wir sollten ›die Geliebte‹ ausfindig machen«, fasste Norlander zusammen.
»Ja, klar«, sagte Söderstedt. »Aber zuerst: follow the money.«
Viggo Norlander nickte und drückte aufs Haustelefon: »Du kannst ihn jetzt reinschicken«, sagte er.
Die Tür wurde geöffnet, und herein kam ein Bankier. ›Der Sack Rundqvist‹, wie Norlander ihn ein paar Minuten zuvor so freundlich tituliert hatte.
Lars Rundqvist war alles andere als ein Sack, sondern ein guterhaltener, hochgewachsener Mann von Anfang Fünfzig, wahrscheinlich mit sportlichem Hintergrund. Man sah ihm auf Anhieb an, dass er jahrelang viel Zeit in Sporthallen verbracht hatte. Und dass er um jeden Preis dem gnadenlosen Prozess des Alterns zu entgehen versuchte.
Er begrüßte die beiden Staatsbeamten höflich und nahm auf dem ihm angewiesenen Stuhl Platz.
»Ja, Herr Rundqvist«, eröffnete Söderstedt. »Sie sind heute Chef des internationalen Aktienfondsmarkts an der SE-Bank. Ist das korrekt?«
Lundqvist lächelte und vollführte eine kleine Geste mit der Hand. »So ungefähr, ja«, sagte er. »Aber wir müssen vielleicht nicht auf die komplizierten Organisationsformen des Bankwesens eingehen.«
»Nein. Noch komplizierter war es vermutlich Anfang der achtziger Jahre, als Sie und Ola Ragnarsson auf den Cayman Islands die erste Holdinggesellschaft in schwedischem Besitz gründeten und zu einem regelrechten Finanzimperium entwickelten.«
»Absolut nicht«, sagte Rundqvist und lehnte sich zurück.
»Wie bitte?« entfuhr es Söderstedt.
»Es war absolut nicht komplizierter. Es war ganz einfach. Es lief praktisch wie von selbst. Damals waren die nationalen Grenzen noch die wichtigsten Grenzen. Und den Nationen fiel es extrem schwer, globale Geldströme zu kontrollieren. Man brauchte eigentlich nur loszulegen. Als es am besten lief – ich meine mich zu erinnern, dass es 1982 war –, rechneten wir aus, dass unser Umsatz genauso hoch war wie das Bruttosozialprodukt von Guatemala. Und Guatemala hat zwölf Millionen Einwohner.«
»Wie haben Sie sich kennen gelernt?«
»Wir waren zusammen auf der Wirtschaftshochschule. Uns vereinte die Erkenntnis, wie grenzenlos die internationalen Möglichkeiten waren – und wie wenige Schweden sie wahrnahmen.«
»Waren Sie Freunde? Privat?«
»Freunde ...? Wir waren viel zusammen, zogen durch die Kneipen, rissen Mädchen auf, aber vor allem schmiedeten wir Pläne. Also waren wir wohl Freunde. Er hatte auf jeden Fall keine anderen Freunde.«
»Wann haben Sie sich kennen gelernt?«
»Wir haben ‚77 die Wirtschaftshochschule abgeschlossen. Wir müssen uns gegen ‚73 getroffen haben, als er zwanzig war und ich dreiundzwanzig. Dann starteten wir ‚78 Powerlnvest. Anfangs ging es etwas holprig, aber dann bekamen wir ein paar Finanziers zusammen und machten uns im Herbst ‚80 auf in die Welt. Danach ging es schnell. Ola sprang ‚84 ab und verkaufte alles an mich und ein paar neue Teilhaber. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich weiß nicht einmal, wo er abgeblieben ist. Meine eigenen
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