Rosenrot
ein Mann, der immer wütend ist.‹ Kann es sein, dass er die Aufmerksamkeit von einer Verbindung zu Lundmark fortlenken wollte?«
»Und dann dieser Ausruf: ›Wenn Sie wüssten, wer er war!‹ Ich weiß nicht, aber vielleicht lässt da die Kontrolle eine Sekunde nach. Er war im übrigen sehr unwillig, als ich ihn heute vernommen habe. Wollte überhaupt nichts sagen. Er war deprimiert. Winston tot und er selbst morgen früh abgeschoben zu den Sicherheitskräften. Das kann man verstehen.«
»Man kann nicht gerade behaupten, wir hätten lupenreine Beweise vorzulegen ...«
»Nicht direkt«, räumte Chavez ein. »Möglicherweise kann man die südafrikanischen Behörden ein wenig zur Eile drängen. Wir brauchen mehr Fakten, um weiterzukommen. Aber meinst du nicht auch, dass Siphiwo Kani über eine höhere Ausbildung verfügt?«
Gunnar Nyberg vollführte eine ausholende Armbewegung und sagte: »Wir Schweden wissen vielleicht besser als manche andere, dass man die Bildungsarbeit der Gewerkschaften nicht unterschätzen darf. Aber ich stimme dir zu. Das ist kein Grubenarbeiter. Er hat die Hände eines Intellektuellen.«
»Und die kommen vor Gericht immer gut an.«
»Du sagst es.«
Nach diesen abschließenden weisen Worten blieb es eine Weile still. Nyberg und Chavez saßen einander am Schreibtisch in Chavez‘ und Hjelms ziemlich dürftigem Büro gegenüber. Draußen regnete es, ein leichtes Rieseln wie ein Vorbote des Herbstes. Der Innenhof des Polizeipräsidiums sah aus wie ein Stück Niemandsland früher an der Berliner Mauer, verdreckt, verlassen und verregnet. Vielleicht miniert, vielleicht von Polizei bewacht, die sich über Nacht in Militär verwandelt hatte.
Und tief dort unten sah Jorge Chavez an einem kleinen
Busch die ersten gelben Blätter. Er seufzte schwer und dachte an seine schwangere Frau, die auf regenschweren schonischen Kartoffeläckern herumstiefelte und das Leben ihres Kindes aufs Spiel setzte. Sie braucht nur die Hand auszustrecken, dachte er grimmig, die Kartoffeln aufzunehmen und reinzuhauen.
Obwohl er eigentlich etwas völlig anderes dachte. Er dachte an die großen Meere, die Menschen voneinander trennen. Er dachte daran, was seine anspruchslose Existenz Menschen mit schwarzem Gesicht tatsächlich kostete. Er dachte: ›Niemand ist unschuldig, nicht einmal meine ungeborene Tochter ist unschuldig‹, doch da gebot er sich Einhalt. Jetzt reichte es wirklich.
Und doch spürte er, dass er auch einer dieser Menschen aus der dritten Welt war, die mit ihrem Leiden unser Wohlergehen ermöglichen. Doch da fühlte er, wie sich seine chilenischen Vorväter der Reihe nach in ihm regten und zu ihm sprachen. Sie sagten: ›Genug jetzt. Wie verdammt schwedisch willst du eigentlich noch werden?‹ Aber dabei beließen sie es. Jetzt musste es reichen.
Diese schreckliche Trauer, die ihn überwältigt hatte, als er am Vortag Elimo Wadu vernommen hatte, den Akademiker, der drei Jahre lang in einem kenianischen Gefängnis wegen seiner Forschung gefoltert worden war. Die plötzlich entblößte Brust. Die Brandmale von Zigarettenglut. Ein Brandmal für jeden kritischen Kommentar in seiner Forschung.
»Da ist etwas, was mich jetzt schon eine ganze Weile stört«, sagte Gunnar Nyberg langsam. »Eine Bildungsreminiszenz. Meine Generation ist ja in der Regel einen Deut gebildeter als deine.«
»Du bist für deine gediegene Bildung bekannt«, erwiderte Chavez ohne jede Ironie. »Lass hören.«
Gunnar Nyberg beugte sich vor und sagte: »Liegen Südafrikas Diamantengruben wirklich in der Kwa Zulu Natal-Provinz?«
14
Zwei lesende Menschen können sehr unterschiedlich aussehen. Zumal dann, wenn sie einander gegenübersitzen und den gleichen Text lesen. Einer kann aussehen wie ein Fisch im Wasser, ganz und gar in seinem Element. Die kleine Lesebrille ist auf die Nasenspitze gerutscht, und die Finger streicheln nahezu erotisch genussvoll das Papier. Ein anderer kann aussehen, als wäre er vollkommen fehl am Platze, als prügelte der Text unablässig auf ihn ein, als ob allein seine Anwesenheit das Papier zerknitterte und es ihm gleichzeitig gelänge, sich daran zu schneiden, dass das Blut über die Knitterfalten spritzt.
»Au verdammt«, stieß Viggo Norlander aus. »Scheißpapier.«
»Halt es drüben auf deiner Seite«, sagte Arto Söderstedt und sah ihn über den Brillenrand an. »Du könntest Aids haben.«
Mit einem aggressiven Schwung warf Viggo Norlander das geschundene Blatt über die Tischplatte. »Ich
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