Rosenrot
mit Dag zogen an ihrem innern Auge vorbei. Und etwas Schwarzes. Ein schwarzes Loch mit einem unendlichen Sog. Nichts kam heraus. Alles, was in die Nähe geriet, wurde hineingesogen. Ein schwarzes Loch in der Zeit. Sie sah es zum ersten Mal. Und ihr Blick wurde eingesogen und verschwand.
Wollte er sie töten? War er wirklich darauf aus, sie zu töten? Nein. Das dann doch nicht.
Sie ging los. Die Tür von Nilssons Lackierwerkstatt hing tatsächlich schief in den Angeln. Sie konnte sie zur Seite stemmen und hineinschlüpfen. Eine Reparaturwerkstatt. Verödet. Verlassene Vogelnester, aus denen die Nässe tropfte. Regenwasser lief an den Wänden hinab. Und nirgendwo eine Farbe. Nur grau.
Sie zog ihre Dienstwaffe und entsicherte sie. Ein Stück entfernt in der leeren Halle führte eine Treppe zu einigen Büroräumen im ersten Stock. Sie schlich an der Wand entlang. Die Feuchtigkeit fraß sich in sie ein. Eine dicke Kette, die von der Decke herabhing, zitterte leicht. Eine Taube gurrte und flog von der Kette auf. Sie schwang im Dunkeln. Das Flattern der Flügel hallte durch die furchtbare Leere der Halle.
Da hörte sie es. Sie hörte die Schritte.
Drei, vier Schritte nur. Dann war es still. Sie kamen von oben. Aus den oberen Räumen. Sie hielt die Pistole an den Körper. Zuunterst in ihrem Blickfeld sah sie, wie die Mündung zitterte. Und jetzt war es vollkommen still dort oben.
Sie verharrte einen Moment reglos. Bis ihre Atemzüge ruhiger gingen. Dann glitt sie an der seifenglatten Blechwand entlang.
Sie erreichte die Treppe. Sie schaute auf die Metallstufen. Nässe tropfte herab. Auf jeder Stufe lag eine dünne Wasserschicht, und von jeder floss ein kleines Rinnsal: ein Wasserfall in Etappen. Die Treppe würde ganz sicher glatt sein.
Außerdem machte sie Krach. Der erste Schritt hallte im Resonanzkasten der Halle wider. Sie duckte sich und stieg mit erhobener Waffe weiter aufwärts. Auf jeder Stufe rutschten ihre Schuhe leicht aus.
Sie war oben. Blieb stehen und horchte. Sie horte nur ihren eigenen Atem. Er ging schneller, als er gehen sollte.
Ganz oben unter der Decke war eine Reihe großer Fenster. Direkt darunter verlief ein Absatz wie ein nach innen gewendeter Balkon um das ganze Gebäude herum. Von dem Absatz führten Türen in eine Anzahl von Büros. Die meisten standen halb offen, und fast alle hatten zerschlagene Glasscheiben.
Die Taube flatterte vorbei und landete auf der hängenden Kette. Sie klirrte mit einem kurzen, dumpfen Klang.
Kerstin Holm sah durch die erste Tür. Ein leerer Raum. Nur ein verlassener Schreibtisch war zurückgeblieben. Die Fensterscheibe nach draußen war von Schmutz bedeckt. Es fiel kaum Licht herein. Sie ging zum nächsten Raum.
Die Tür flog auf.
Glassplitter flogen ihr entgegen. Sie riss die Pistole hoch, sie hatte die laufende Gestalt im Visier. Ihr Finger lag am Abzug.
Sie schoss nicht.
Das war Glück. Der Junge, der soeben unten durch das Tor verschwand, war nicht älter als dreizehn. Mit wild hämmerndem Herzen blickte sie in den Raum, aus dem er gekommen war. Gleich bei der Tür lagen ein Lappen und eine umgefallene Flasche mit einem Lösungsmittel. Sie hob den Lappen auf und roch daran. Er roch ätzend. Gehirnverätzend.
Der Lappen färbte sich langsam rot. Sie begriff nicht, warum. Dann schaute sie auf ihre Hände. Aus mehreren Schnittwunden sickerte Blut. Langsam liefen die kleinen Rinnsale in den Lappen und wurden von ihm aufgesogen.
Sie hatte genug. Sie kehrte zurück zum Treppenabsatz, setzte sich und lehnte sich gegen die Wand. Sie holte ihr Handy hervor und wählte die Nummer.
Es klingelte vier Türen links von ihr. Sie ging hin und trat die Tür auf.
Der Raum war leer. Vollständig leer. Bis auf ein sehr altes und sehr schmutziges Telefon. Es klingelte.
Sie ging hin. Sie rutschte mit dem Rücken an der triefend nassen Wand nach unten. Sie schaltete ihr Handy ab. Und heulte.
21
Sie mussten zugeben, dass drei Beamte eine Spur übertrieben waren, um mit dem Informationschef eines Unternehmens auf Lidingö zu sprechen. Es hieße, ein falsches Signal zu setzen, was die Kapazität der Ordnungsmacht betraf. Dennoch wollte keiner es verpassen.
»Knobeln ist gut«, sagte Gunnar Nyberg und warf drei Papierbälle in die Luft. Sie plumpsten auf den Fußboden in Hjelms und Chavez‘ Zimmer.
»Nicht so«, sagte Sara Svenhagen. »Zwei in die linke Hand, einen in die rechte. Wirf den einen aus der linken Hand hoch. Wenn er den höchsten Punkt seiner Kurve
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