Rosenrot
erreicht hat, schickst du den Ball aus der rechten Hand hoch. Und so weiter.«
Jorge Chavez stand, weil die beiden Stühle besetzt waren. Er nahm zwei Papierbälle in die linke Hand und einen in die rechte. Merkwürdigerweise gelang es ihm, Sara und Gunnar ins Gesicht zu treffen. Der dritte Ball flog direkt in den Papierkorb.
»Mist«, sagte er.
»Und ihr behauptet, ihr hättet Ballgefühl«, sagte Sara und kaute Kartoffelpelle.
»Knobeln ist nicht gut«, sagte Jorge. »Es ist unwissenschaftlich.«
Er knüllte drei weitere Blätter zu Bällen zusammen.
»Ich glaube nicht, dass ich jemals behauptet habe, Ballgefühl zu haben«, sagte Gunnar Nyberg und machte es Jorge nach.
Sara Svenhagen nahm ihrem Ehemann die drei Papierbälle ab, jonglierte elegant eine halbe Minute damit und reichte sie ihm anschließend zurück. Jorge Chavez betrachtete sie finster und legte sie auf den Schreibtisch.
»Schere schlägt Papier«, sagte er, »Papier schlägt Stein, Stein schlägt Schere. Heißt es so?«
»Das ist doch unwissenschaftlich, zum Teufel«, sagte Nyberg und warf die drei Papierbälle in die Luft. Sie flogen in alle Richtungen.
»Es ist unmöglich«, stellte er ruhig fest.
»Fahrt ihr nur«, sagte Sara. »Ich verzichte.«
»Nein, jetzt knobeln wir«, sagte Jorge. »Eins, zwei, drei.«
Keiner außer ihm knobelte.
»Nun kommt schon«, sagte er und knobelte noch einmal. Wieder war er der einzige, der dieses seltsame Verhalten an den Tag legte.
»Ihr habt doch Dazimus lokalisiert«, sagte Sara. »Ich bin statt dessen in Schonen gelandet. Ich muss mich dem schonischen Fall widmen.«
»Da gibt es doch wohl nicht so viel zu tun«, sagte Nyberg. »In deiner Beschreibung wirkte es ziemlich schwierig. Landesweite Fahndung nach dem Jungen, das ist alles. Das Schonische, was übrigbleibt, ist Pauls Angelegenheit.«
»Ich muss hier sitzen und Hinweise auf Anders Sjöberg entgegennehmen.«
»Das hört sich trist an«, sagte Chavez. »Aber besser, als mit einem kleinen Kind im Bauch über schonische Felder zu stapfen.«
»Einer kleinen Tochter«, sagte Nyberg.
»Ist schon okay«, sagte Sara. »Fahrt ihr nur. Ich kann immerhin ein bisschen jonglieren.«
Das gab den Ausschlag. Ihr Jongliergequatsche führte dazu, dass sie sie ohne schlechtes Gewissen verlassen konnten. So etwas tut man Männern gegenüber nicht. Zumindest nicht Männern mit einem Anspruch auf Ballgefühl.
Die Männer zogen ab.
Es war Donnerstagnachmittag, und der Regen wollte nicht nachlassen. Der berüchtigte goldgelbe Renault machte wieder mal die nassen Straßen Stockholms unsicher.
Als die Lidingöbrücke sich vor ihnen auftürmte und in den Regenschauern aussah wie in einer Märchenwelt, kam Gunnar Nyberg plötzlich ein ganz anderer Fall in den Sinn. Vor langer Zeit. Er erinnerte sich plötzlich mit erschreckender Deutlichkeit des Gefühls von damals. Der Himmel hatte ganz anders ausgesehen, geborsten in göttlichem Orange, und er erinnerte sich des Gedankens, den der Himmel ihm eingegeben hatte: Vielleicht ist es Zeit zu sterben.‹
Ein paar Minuten später hatte eine Kugel ihn in den Hals getroffen, er eine breite Hecke überwunden, ein Gas gebendes Gangsterauto angegriffen und an einen Laternenmast gedrückt. In dieser Reihenfolge.
Er war zwar nicht gestorben, aber es hatte nicht viel gefehlt.
Er spürte, dass Chavez ihn vom Beifahrersitz beobachtete. »Negative Schwingungen?« sagte er.
»Tja«, antwortete Gunnar Nyberg.
Das Ziel ihrer Fahrt lag auf der anderen Seite von Lidingö, ein kleiner Industriekomplex, der unmittelbar am Strand aus dem Boden gestampft worden war. Dazimus Pharma AB war zwar in keinem der auffallendsten Gebäude untergebracht, war aber dafür am schicksten; ein Manhattan-Wolkenkratzer in kleinstem Maßstab. Durch und durch aus Glas.
Und das Logo war ein Wunder an Strenge. Schwedisches Design in Reinkultur.
Als das ungleiche Paar das Glasgebäude betrat, erlebte Gunnar Nyberg sein zweites de ja vu an diesem Tag. Allerdings war er diesmal in Täby bei einem Computerunternehmen namens LinkCoop. Diese Erinnerung jagte noch schlimmere Schauer durch seinen abgespeckten Körper. Es war die Frage, ob er dort dem Tod nicht noch näher gewesen war.
Chavez musste das Wort führen: »Wir suchen den Informationschef Carl-Ivar Skarlander.«
»Haben Sie einen Termin?« fragte die sehr schöne Empfangsdame ein wenig skeptisch.
Nyberg war froh, dass sie allein war und keine Zwillings-
Schwester an ihrer Seite hatte. Das
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