Rosenrot
fort. Alles lief wie von selbst. Als wäre er schon immer unnötig gewesen. Eine ungute Einsicht.
Was hatte Kriminalkommissar Jan-Olov Hultin in seinem langen Leben Nützliches geleistet?
Er vermisste die überschaubaren Sitzungen in der alten ›Kampfleitzentrale‹. Alle waren auf ein und denselben Fall konzentriert. Befehle waren leicht erteilt. Der Fall war vielleicht nicht glasklar, aber die Ausrichtung auf ihn war glasklar. Jetzt kam es ihm vor, als erledigten sie Botengänge für andere. Für die Internabteilung vor allem, aber auch für die Polizei in Trelleborg und für Interpol.
Wenn Ola Ragnarsson nun ein internationaler Serienmörder war.
Arto Söderstedt sollte im Lauf der Nacht aus Monaco zurückkehren. Sie hatten miteinander telefoniert. Arto hatte ungewöhnlich gedämpft geklungen.
Jetzt saß Hultin hier an seinem Schreibtisch und betrachtete das letzte bekannte Foto von Ola Ragnarsson. Von 1982. Aus seinen Glanzzeiten. Ein junger, schüchtern lächelnder Mann, der etwas Trauriges im Blick hatte. Hultin war routiniert genug (was war er denn sonst? was außer Routine konnte er schon aufbieten?), um zu wissen, dass Mörder vollkommen beliebig aussehen konnten. Besonders Serienmörder waren
gern verschlossen, geduckt und dem Anschein nach vollkommen normal. Abnorm normal.
Dennoch blieb es ihm nicht erspart, Söderstedt in seinem klingenden Finnlandschwedisch Madame Claudine Jauret zitieren zu hören: ›Ola Ragnarsson hat niemanden ermordet. Darauf kann ich mein Leben wetten.‹
Die Frau, die sie für ein Mordopfer hielten.
Dieser merkwürdige Selbstmordbrief... Jan-Olov Hultin hatte einen Verdacht geschöpft und eigenhändig, insgeheim, ein paar Dinge nachgeprüft. Er hatte den Gerichtsmediziner Qvarfordt angerufen – was immer eine Prüfung war –, um eine einzige Frage zu klären.
Ob die Leiche wirklich Ola Ragnarsson war.
Und sie war es. Ohne Zweifel. Im Rahmen einer ärztlichen Untersuchung der aufwendigeren Sorte Anfang der achtziger Jahre war Ragnarssons DNA festgestellt worden, ›um zukünftige Erkrankungen zu verhindern‹ wie es ein wenig quacksalberhart in der Stellungnahme des Arztes hieß. Und Ola Ragnarssons DNA war auch die der Leiche.
Daraufhin kontaktierte Hultin den Chefkriminaltechniker Brynolf Svenhagen – was eine noch größere Prüfung war –, um nur eine einzige Frage zu klären.
Ob Ola Ragnarsson den Abschiedsbrief wirklich geschrieben hatte.
Und das hatte er. Zahlreiche Handschriftenvergleiche waren durchgeführt worden, und jeder Zweifel war ausgeschlossen.
Zwei schwere Enttäuschungen, die noch zu Jan-Olov Hultins nächtlicher Trübsal beitrugen.
Außerdem klingelte das Scheißtelefon. Es war der verlorene Sohn. The Prodigal Son.
Paul Hjelm aus Schonen.
So lange hätte er nicht in Trelleborg bleiben müssen. Versuchte er, vor seiner Familie zu fliehen? Oder vor der Internabteilung? Oder vor – Hultin?
»Schönen guten Abend«, sagte Hjelm in misshandeltem Schonisch.
»Schön und gut in Maßen«, entgegnete Hultin finster.
»Ich wollte rapportieren, bevor ich den Nachtzug nach Hause nehme.«
»Rapportieren? Du solltest lieber apportieren. Das tue ich. Wie ein treuer Hund.«
»Ich ahne eine Spur Trübsinn.«
»Tja. Ragnarsson ist Ragnarsson, und der Abschiedsbrief ist von ihm. Das bedeutet, dass er sich entweder postum wichtig machen wollte, oder dass er wirklich ein Serienmörder ist.«
»Kein Ergebnis von der Fahndung?«
Hultin seufzte und setzte an: »Keine einzige Spur von dem siebenjährigen Anders Sjöberg. Gibt es irgendeinen Grund zu glauben, er könnte noch leben? Deine und Saras Theorie wirkt am plausibelsten: Ragnarsson wurde damit konfrontiert, dass er pädophil war. Aber das wollte er nicht einmal nach seinem Tod gestehen. Im Gegenteil, es ist vielleicht ein Motiv dafür, dass der Brief überhaupt geschrieben wurde: um die Aufmerksamkeit von der düsteren Wahrheit abzulenken. Und dennoch Aufmerksamkeit zu bekommen. Er ist vielleicht gar kein Serienmörder. Dies hier war vielleicht seine erste Tat. Und das reichte, um ihm den Rest zu geben.«
»Durchaus möglich«, sagte Paul Hjelm. »Ich weiß wirklich nicht, was ich glauben soll.«
»Hast du irgend etwas Spezielles zu ... rapportieren?«
»Todesursachen. Von gewissem Interesse. Das Ehepaar Sjöberg wurde mit Talliumsulfat getötet, einem inzwischen verbotenen geschmack- und geruchlosen Rattengift.«
»Aha, Ragnarssons Selbstmordgift.«
»Genau.«
»Ich weiß nicht, ob es einen
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