Rosenrot
gefunden, zumindest für einige Zeit. Einen Aufschub. Denn sie ahnte etwas am Horizont. Einen kommenden Sturm. Aber sie schaffte es nicht, wollte nicht, hatte keine Lust, ihn zu sehen. Soll er kommen, dachte sie friedfertig. Alles zu seiner Zeit.
Das Faxgerät verstummte. Der Papierhaufen war prächtig. Sie vermutete, dass der Gerichtschemiker nicht nur frisch angestellt, sondern auch frisch examiniert war. Ein doppelter Enthusiasmus, der sich verheerend auswirkte. Das Ergebnis des vielen Reflektierens war ein vollkommen unreflektierter Papierberg. Er hatte nichts anderes tun sollen, als die Urinproben – und im Fall Modisane die Obduktionsproben – der an einem Tathergang beteiligten Personen zu analysieren. Statt dessen lieferte er eine Abhandlung über den gesammelten Gesundheitszustand der Anwesenden. Hatte er keine Vorgesetzten? Waren die auch wegrationalisiert?
Sie begann in den Papieren zu blättern. Sie merkte sich unter anderem, dass Bo Ek in jedem einzelnen Punkt physische Spitzenwerte hatte; dass Elimo Wadu erkältet war; dass Britt-Marie Rudberg ihre Tage hatte; dass Winston Modisane mit einem verheilten Schienbeinbruch gestorben war (ein imponierendes Ergebnis einer Urinprobe); dass Siphiwo Kani Kopfschmerztabletten genommen hatte; dass Dag Lundmarks Urin unter anderem Spuren von Naltrexonhydrochlorid aufwies, was das nun sein mochte; und dass in Ngugi Ogots Blut tatsächlich Spuren von Hasch – altehrwürdiges Marihuana – gefunden worden waren. Danach war sie eingeschlafen.
Die Herren kehrten geräuschvoll zurück. Sie wurde aus ihrem Schönheitsschlaf gerissen und versuchte, hellwach und agil zu wirken. Angesichts des über den ganzen Fußboden verstreuten Papierhaufens war das Heucheln nicht ganz einfach.
Die Herren hatten indessen anderes im Kopf. Jorge war außer sich vor Wut, Gunnar eher gedämpft mürrisch. Ohne nachzudenken, begann Jorge, die Papiere vom Fußboden aufzusammeln. Nestbau, dachte Sara. Wie süß, er baut das Nest.
»Geschäftlich unterwegs, dass ich nicht lache«, tönte das nestbauende Männchen. »Der Lächelarsch hat sich dünne gemacht, so einfach ist das. Carl-Ivar Lächelarsch in neuen kriminellen Geschäften unterwegs.«
»In seinem Terminkalender stand, dass er den ganzen Tag geschäftlich unterwegs sei«, sagte Nyberg und setzte sich. »Wahrscheinlich bei Reines Haus, um reinen Tisch zu machen mit den Anschuldigungen. Krieg dich wieder ein, Jorge. Das ist doch nicht die Welt.«
»Aber verflixt, ist die Antwort aus Südafrika gekommen?« stieß Jorge hervor. »Ist das schon lange da?«
Sara Svenhagen hatte keine Ahnung. Zum Glück hatte sie auch gar keine Chance zu antworten.
Chavez riss die Papiere aus dem Fax und fragte: »Ist das alles?«
»Ja«, sagte Sara auf gut Glück. »Ich fand, es wäre am besten, wenn ihr es selbst anseht.«
»Hmmm«, sagte Jorge und überflog die Papiere. Allmählich legte sich seine Erregung, er setzte sich auf Nybergs Stuhl und las konzentriert. Schließlich sagte er: »Diesen Kontakt solltest du möglichst aufrechterhalten, Gunnar.«
»Was steht denn da?«
»Wir hatten recht.«
»Ich will nicht schon wieder müde Ohren kriegen«, sagte Nyberg.
»Okay. Kommissar Mzwanele Tshekela von der südafrikanischen Polizei teilt folgendes mit. Siphiwo Kani ist gar nicht Grubenarbeiter, sondern Arzt. Und Winston Modisane war nicht Industriearbeiter. Er war Chemiker.«
»Chemiker?« rief Gunnar Nyberg. »Und Arzt?«
»Unsere Instinkte hatten recht. Kani ist Akademiker. Und jetzt ist er wieder in Südafrika. Unerreichbar.«
»Der Chemiker hat in der Arzneimittelfirma geputzt«, sagte Sara Svenhagen.
»Ausländische Akademiker tun so etwas in Schweden«, sagte Jorge.
»Das ist nicht der Punkt.«
»Ich verstehe«, sagte Chavez, vertiefte sich wieder in die Papiere und fuhr fort: »Es sind Auszüge aus den Universitätsregistern und verschiedene Schulbescheinigungen. Vollständiger Ausbildungsgang und Zeugnisse. Winston war gut in der Schule. Siphiwo auch. Zwei schwarze Leuchten im Schatten der Apartheid. Überall Bestnoten. Kani besuchte die Universität in Dares-Salaam in Tansania und Modisane in Nairobi, Kenia. In der Zwischenzeit brach das Apartheidsregime zusammen, und sie konnten in Südafrika arbeiten. Aber sie
kamen nach Schweden und erzählten Lügen, was ihre Berufe anging. Warum?«
In Ermangelung eines Stuhls setzte Gunnar Nyberg sich auf die Schreibtischkante. Keiner achtete auf das Knacken. Er sagte: »Es hört sich
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