Rosenschmerz (German Edition)
Stellen.«
Draußen auf dem steinernen Fenstersims stakste ein Amselmännchen
herum und pickte mit seinem gelben Schnabel sacht an die Scheibe.
Ottakring lenkte den Porsche die paar Meter zu seiner
Wohnung und ließ ihn dort stehen. Er holte das Fahrrad aus der Garage und
machte sich auf den Weg in die Direktion. Die tief stehende Sonne wärmte ihm
den Rücken.
Das Treffen mit Chili ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. In welch
spinnerte Idee sie sich da verrannt hatte! Eine alleinstehende Frau, die rund
um die Uhr in der Mordkommission arbeitet … das ging einfach nicht.
Welches Motiv steckte wohl dahinter? Mitleid? Nächstenliebe? Mutterinstinkt?
Oder war es einfach Einsamkeit? Er wollte sie bei Gelegenheit danach fragen.
Vorhin bei Lucca hatte er sie auf eine andere Lösung aufmerksam gemacht. Mal
sehen, ob sie anspringt, dachte er.
Zwischen Karstadt und Ankirchner, wo die Fußgängerzone beginnt,
schob er sein Radl. Er hatte Mühe, sich durch die Massen durchzukämpfen. Von
der viel besungenen Weihnachtsstimmung konnte er keine Spur entdecken.
»Hallo, Lola? Ach, schön, dass ich dich erwische. Wie geht’s
dir, Schatz? Ich wollt nur mal reinhören.«
Was er hörte, versprach nichts Gutes. Doch Lola klang gefasst und
tapfer. Sie beendete das kurze Telefonat beharrlich mit der Frage: »Wie wär’s
mit Skifahren?«
Wieder einmal bewunderte er ihre Nehmerqualitäten. Wie würde er an
ihrer Stelle handeln, drohte ihm der Verlust eines Auges? Er fühlte einen
tiefen Respekt vor dem Format dieser Frau. Er sagte Lola vage zu, sich bald mit
ihr auf die Piste zu begeben, und nahm, ohne weiter nach links und rechts zu
schauen, Kurs auf die Direktion.
»Gut, dass Sie kommen, Herr Kriminalrat.« Huawa wölbte
seinen Bauch durch die Tür. »Ihr Hund furzt! Der stinkt wie Sau.« Dabei sah er
den Kriminalrat an, als hätte er ihm gerade einen Knochen hingeschmissen.
»Bei mir hat er aber nicht …«
»Des is aber no lang net ois. Der Herr Huber is weg! Futsch.
Abghaut.«
Ottakring sah sämtliche Felle der Welt dahinschwimmen und alle
Brücken zusammenbrechen. Sein Hund. Abgehauen.
»Aber des macht nixn«, päppelte Huawa ihn wieder auf. »Mei Frau ist
guada Hoffnung. Den kriegn mir scho widder.«
Eva M. schwirrte über den Flur im dritten Stock. Ihr
blonder Zopf schwang auf dem Rücken hin und her. »Kann ich kurz …?«
Ottakring machte eine einladende Geste hin zu seinem Büro. »Und?«,
sagte er.
Eva M. trippelte hinein und ließ sich ohne Aufforderung in
einen Sessel in der Besucherecke fallen. »Zwei Neuigkeiten. Und eine Frage«,
sagte sie kokett.
»Neuigkeiten. Immer.«
»Erstens.« Eva M. hielt einen Zeigefinger hoch. Der Nagel war
unlackiert und leicht ausgefranst. »Das mit den Schuldscheinen von
Kirchbichler. Sieben Stück haben wir bei ihm gefunden. Fünf von Männern und
zwei von Frauen.«
Ottakring setzte sich rittlings auf einen Stuhl. Den Anruf der Frau,
die sich als Gabriele Bauer ausgegeben hatte, hatte er komplett verdrängt. »Die
hat also doch nicht nur mit dem Niki rumgemacht …« Wenn sie ihn nicht
belogen hatte, musste diese Frau eine der beiden sein, die Eva M. gerade
erwähnt hatte.
»Soll ich herausfinden, wer sie sind?«
Ottakring knurrte ein bisschen und streckte die Beine aus. »Machst
du Witze?«
Madln vom Land. Sie nehmen am Bankschalter dein Geld in Verwahrung,
als Helferin in der Arztpraxis dein Blut. Sie verpassen dir Socken und Hemden
als Verkäuferin im Herrengeschäft, packen im Früchteparadies Bananen, Äpfel und
Salat in deinen Einkaufskorb und wieseln als Bedienungen in Wirtshäusern und
Cafés herum. Manche sind offenherzig, andere oben zugeknöpft, kaum eine trägt
noch Zöpfe, fast alle aber ein Rucksackerl. Und alle haben Holz vor ihrer Hüttn
und ein gebärfreudiges Becken.
So eine war Eva Mathilde.
Ottakring beugte sich vor und tat betont wichtigtuerisch. »Warum
hast du das nicht schon längst getan? Warum hast du nicht schon längst die
Identitäten überprüft?«
Er stutzte. War es eine Frage des Altersunterschieds oder der
Einstellung, dass er die gut zwanzigjährige BKA -Beamtin
einfach duzte? Oder waren sie schon so vertraut miteinander?
Eva M. kapierte sofort. Sie kicherte und sagte: »Basst scho.
Mir ist eh lieber, wenn Sie ›du‹ sagen. Ich bin ja bloß die Praktikantin.«
»Gut. Und? Was war Punkt zwo?«
»Die drei Taxifahrer. Die wo für die Silbernagl die Sträuße
hingebracht haben. Einer von denen weiß noch, wohin er so einen
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