Rosenschmerz (German Edition)
das
mitgekriegt haben. Aber Frau Niedermayr hat es ja mir gegenüber sofort
zugegeben. Solche Leute lesen Traueranzeigen wie unsereins ein Fahndungsblatt.«
Ottakring nickte. Es war kurz vor halb acht. Er hatte Herrn Huber
abgeliefert, Chili abgeholt und lenkte nun den Passat zur Direktion.
»Und warum hat sie es dann nicht gemeldet? Dass Scholl sich unter
falschem Namen …«
Chili lenkte ein. »Ist doch klar, Joe. Die will ihre kleine Pension
nicht in Verruf bringen. Die Vermietung läuft grad mal so lala, hat sie mir
gesagt. ›Verheirateter Mordkommissar mit zwielichtiger Person‹ – solche
Schlagzeilen kannst du dir ja ausmalen.«
Er hatte eine Frage gestellt, deren Antwort er bereits vorher
kannte. Braute sich da etwas zusammen? Gab es Zusammenhänge zu dem eigenartigen
Verhalten der Frau Scholl? Er hatte Eva M. auf sie angesetzt. Nun musste
er zusehen, dass die Kleine Druck machte, das konnte wichtig werden.
Um das Thema mit dem Obdachlosenkind drucksten beide herum.
»Ich hab dir gesagt, ich hab meine Kontakte. Vorsichtshalber hab ich
schon mal jemanden angestupst«, betonte Ottakring. »Keine Angst«, warf er
hastig ein, als er Chilis Reaktion erkannte. »Ganz vorsichtig nur.
Unverbindlich.« Er konnte es immer noch nicht fassen, dass Chili ernst machen
wollte.
Chili hüllte sich in Schweigen.
Dann waren sie da.
Schusters ohnehin dunkler Teint wirkte noch finsterer,
seine Miene wie in Granit gehauen. Selbst die Boxtrophäen um ihn herum hatten
einen drohenden Touch. Er stand mit dem Rücken zum Fenster. »So ein Mist. Da
wird der Präsident seine Ansprache gscheit revidieren müssen. ›Was, wenn morgen
kein Tag mehr ist?‹, zitierte er den Präsidenten in übertriebener Manier. ›So
wie in diesem Fall? Dann bleibt das Leben ein Plan, ein Entwurf, eine nie
ausgeführte Skizze …‹. Nein, Frau Toledo, Herr Ottakring, das war ein
verdammt erfülltes Leben. Mit allem Drum und Dran.
Wahrhaftig.« Seine Stimme klang gehetzt und scharf.
Hilflos, dachte Ottakring. Schuster wirkt hilflos. Doch wie hätte er
selbst in so einer Situation gehandelt?
Chili saß da und tippte sich mit dem Daumennagel an die Zähne.
»Ich werd’s der Frau Scholl erklären müssen«, sagte Ottakring.
Schusters Gesichtszüge wurden noch eine Spur härter. Ein paar lange
Sekunden blieb er noch stehen und starrte vom einen zur anderen. Dann ging er
an seinen Schreibtisch und setzte sich.
»Nein. Auf gar keinen Fall. Außer in einer einzigen Ermittlung im
letzten Jahr und auf seiner Beisetzung heuer hatten Sie mit dem Herrn ja nichts
zu tun. Da muss ich selber ran.«
Er holte tief Luft und betrachtete seine Gegenüber mit gespielter
Geduld. Dann griff er urplötzlich nach einem der umherstehenden Silberpokale,
holte aus und donnerte ihn treffsicher in die Glasvitrine in der Ecke.
Deformiert klatschte das Ding von der inneren Schrankwand nach unten. Scherben
schwirrten laut klirrend durch den Raum.
Die Tür flog auf und krachte gegen die Wand.
Kevin Specht stand in gebeugter Angriffshaltung da, schätzte die
Situation mit stechendem Blick ab und schwenkte die Dienstpistole in beiden
Fäusten hin und her. Wie in einer schlechten Tatort-Folge, fand Ottakring.
Specht musste unmittelbar vor der Tür gelauert haben.
Schuster sprang auf und lachte höllisch. »Na, jetzt haben Sie mich
aber erwischt, Herr Specht«, rief er. »Wollen Sie mich lieber hinrichten oder
mir nur Handschellen anlegen?«
Die gute Nachricht erreichte Ottakring auf dem Weg zu
seinem Dienstzimmer.
»Johanna hier.« Die Vorsitzende der Nachbarschaftshilfe. »Es geht um
dieses Obdachlosenkind. Und deine Kollegin mit dem Samaritersyndrom. Wo erwisch
ich dich grade?«
Ottakring machte einen Satz ins Büro. Er befürchtete Schlimmes. »Im
Büro«, rief er mit kräftiger Stimme ins Handy.
»Wir haben Glück. Ich hab ein wenig herumtelefoniert. Die
Kinderhilfe will sich das Mädchen mal ansehen. Die haben öfters mit solchen
Fällen zu tun.«
»Wie schnell?«
»Morgen.«
»Danke, Johanna. Gibst mir Bescheid?«
»Bitte. Ja.«
Er eilte über den Flur zu Chilis Zimmer. In Sekundenschnelle hatte
er entschieden, ihr diese Nachricht sofort zu eröffnen. Bevor sie weiteren
Blödsinn anstellte.
Sie war am Computer, als er es ihr sagte.
Chili machte ein Gesicht wie eine Dreizehnjährige, der man den
Freund weggenommen hat. Langsam, wie in Trance, nahm sie den Arm von der
Tastatur. Ihr Blick verlor sich zwischen Fenster, Ottakring und Tür.
Ottakrings
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