Rosenschmerz (German Edition)
Fragende Augen suchten Ottakring.
»Sie verließ also das Haus? Wie spät war es da?«
»Zwei Uhr siebenunddreißig«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
»Wollen Sie wissen, warum ich das so genau weiß?«
Es war eine rhetorische Frage. Ottakring löste den Blick von seinen
Schuhen und ließ ihn gemächlich an dem Mann emporgleiten.
»Ich sag’s Ihnen. Weil ich mir gedacht hab, wenn jetzt was passiert,
dann will ich mir die Zeit merken, falls ich gefragt werde. Da, schaun Sie.« Er
griff in die Seitentasche seiner Jacke und reichte Ottakring einen
zerknitterten gelben Haftnotizzettel. »2:37 Uhr«
stand darauf.
Erstaunlich. Ottakring kam es vor wie eines jener
Telepathie-Kunststücke, die Lola so mochte. »Hatten Sie Grund zu der
Annahme …?«
»Dass etwas passiert? Nein. Es war nur so ein Gefühl.« Tiefe Falten
zogen das Gesicht des Mannes nach unten. Als ob er unter akuter Gastritis litt.
»Was passierte dann? Wohin ist Frau Silbernagl gegangen? Und wer hat
sie abgeholt? Deswegen haben Sie sich doch bei der Polizei gemeldet.«
»Sie hat die Straße überquert. Wissen Sie, rüber Richtung Dresdner
Bank. Da ist eine Baustelle. Und dort hat ein Motorrad gewartet. Die Catrin ist
hinten draufgestiegen, und ab ging die Post. Sie wär fast runtergefallen.«
»Was hatte sie an? Zivil oder Motorradkluft?«
Ȁh, nein, so Lederklamotten nicht. Einen Anorak, glaub ich. Ja,
einen Anorak und ihre Jeans vermutlich. Sie trug ja immer Jeans.«
»Farbe des Anoraks?«
»Hell. Weiß, denke ich. Sie besitzt einen weißen Anorak.«
»Hat sie einen Helm mitgebracht? Oder hat der Fahrer ihr einen
gegeben? Oder ist sie ohne Helm geblieben?«
»Nein. Ich hab darüber nicht nachgedacht. Aber jetzt, wo Sie’s
anführen. Ja, der Fahrer hat sich umgedreht, hinter seinem Sitz einen Helm
losgebunden, und sie hat ihn aufgesetzt. Als sie aufgestiegen ist, hat sie ihn
aufgesetzt.«
»Können Sie den Fahrer näher beschreiben? Größe? Was hatte er an?
Helmfarbe? Welche Farbe hatte das Motorrad? Haben Sie das Kennzeichen erkennen
können?«
»Nein, ich hab die Maschine nur von vorn gesehen. Und sie waren im
Nu verschwunden. Der Fahrer war völlig schwarz, auch der Helm.« Er zog die
Stirn in Falten. »Das Motorrad dunkel. Dunkelrot oder dunkelgrün. Ich weiß es
wirklich nicht. Meine Rolle in Ihrem Film ist doch sicher, Ihnen zu sagen, dass
Catrin in dieser Nacht abgeholt wurde. Und seither ist sie nicht mehr
aufgetaucht.«
Ein letzter Versuch. »Sie haben alles von vorn gesehen, sagen Sie.
Das Motorrad stand also Richtung Süden. Hat der Fahrer gewendet, als er
losfuhr, oder ist er einfach die Königstraße runtergefahren?«
»Die Königstraße runter. Bestimmt mit achtzig, hundert Sachen.«
Wer hat in dieser Nacht ein Motorrad gesehen, Kennzeichen unbekannt,
Fahrer schwarz, Person auf dem Rücksitz in weißem Anorak, das sehr schnell auf
der Königstraße in südlicher Richtung fuhr? Nicht gerade das Gelbe vom Ei, um
eine verdächtige Person zu finden.
Als der Mann gegangen war, zog Ottakring die untere Schublade seines
Schreibtischs auf, legte die Füße darauf und dachte nach. Zwischendurch
betrachtete er das Foto, das zuhinterst in der Lade lag. Es zeigte Lola und ihn
auf Ibiza, als sie mit einem gemieteten Motorrad über einen Bergpass in eine
Bucht gefahren waren. So aussichtslos und abwegig, wie er im ersten Moment
geglaubt hatte, konnte es gar nicht sein, die Flüchtigen zu finden. Ein
einsames Motorrad mit zwei Personen, das nachts um zwei Uhr vierzig die
Königstraße mit hoher Geschwindigkeit hinunterbrettert, fiel doch jemandem auf.
Oder es musste tanken.
Ottakring schnaufte tief durch. »Mir wern dem kloana Schlamperl doch
auf die Schliche kommen«, murmelte er. Augenblicklich griff er sich das
Telefon.
»Bis ich am Nachmittag zurück bin, möchte ich ein Ergebnis haben«,
schloss er seine Anweisungen an die Einsatzzentrale. Schnell gehen musste es
jetzt. Schuster wurde schon nervös.
»Grüß Gott. Ottakring, Kripo Rosenheim. Bitte geben Sie
mir Herrn Speckbacher.«
»Robert Speckbacher hier. Selbst am Apparat. Herr Ottakring?«
»Ja. Ich möchte Sie noch einmal kurz im Hotel sprechen. Halten Sie
sich also zur Verfügung, ich bin in zwanzig Minuten da. Und – ist Ihr
Saunamann heute im Dienst, der Franz? Ja? Der soll sich auch bereithalten.«
Beim Bergmeister holte er sich eine Butterbreze für unterwegs. Bevor
er zum Auto kam, traf er den Besitzer des Restaurants Koslowski, rannte fast
die
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