Rosenschmerz (German Edition)
Chefin der Stadtbibliothek um und wechselte ein paar Worte mit Anna Eh, der
bekannten Immobilienmaklerin. Sie hatte ihm kürzlich einen Prospekt vom
Stechlhof überreicht, einem Wohnprojekt inmitten der Altstadt. Mit Interesse
hatte er die Broschüre durchgeblättert. Weiß der Geier, was sich zwischen ihm
und Lola in nächster Zukunft noch alles abspielen könnte. Heinrich Hauser, der
wort- und körpergewaltige Stadtredakteur, fing ihn ein. »Was gibt’s Neues mit
diesem Kirchbichler?« Ungern ließ er sich vertrösten.
Er hatte gerade die Kaiserstraße überquert, ohne von einem
herbeirasenden Fahrzeug ermordet worden zu sein, da hörte er leise aus dem
Handy den Radetzkymarsch.
»Ja?«
»Schuster hier. Sind Sie gerade abkömmlich? Ich müsste Sie kurz
sprechen.« Die sonore Stimme Schusters dröhnte geradezu, sodass Ottakring das
Handy vom Ohr weghalten musste.
»Ich bin auf dem Weg zum Voglwirt, Herr Schuster. Ich hab dort noch
ein paar Dinge zu klären. Wenn’s also nicht dringend ist, würde ich das gerne
vorher erledigen.«
»Okay, okay, tun Sie das. Klingeln Sie doch bitte kurz durch, wenn
Sie wieder im Haus sind. Ich möchte Sie auf jeden Fall heute noch sehen.«
Ottakring wollte nicht fragen, worum es ging. Doch Schuster klang
ernst. Er fuhr den Dienst-Passat aus der Tiefgarage. Kurz vor der
Panoramakreuzung klatschte ihm das letzte Stück Butterbreze auf die Hose und
bildete einen dunklen Fleck. Er wischte mit einem Papiertaschentuch daran
herum. Fast hätte ihn deshalb ein einbiegender tschechischer Spediteur gerammt.
Kurz danach bog ein Radfahrer ab, ohne Zeichen zu geben. Zwei Hubschrauber
kreisten über der A8
vor der verschneiten Bergkulisse. Entweder hatte sich da, wie so oft, ein Stau
gebildet oder ein Unfall ereignet. War das typisch für diese Autobahn oder gab
es das überall? Er erwischte sich dabei, wie er ein Lied summte. Hatte es nicht
sogar Niki Kirchbichler gesungen?
Was wusste er als Münchner eigentlich von diesem Rosenheimer Land?
Hell glitzert im Winter die Landschaft in Kälte, Schnee und
Sonnenschein, knirschende Schritte durch verschneiten Wald, auf der Piste
sausen die Skifahrer vorbei und auf dem Hang juchzen Kinder beim Rodeln. In der
gemütlichen Wirtschaft oder auf der Hüttn wärmen der Kachelofen von außen und
der Glühwein von innen. Im Sommer grüne Wiesen, tiefblaue Seen, plätschernde
Bäche und Flüsse, steile Berge, gemütliche Dörfer wie im Bilderbuch und
lebendige Einkaufsstädte. Weißblau ragt der Maibaum in den Himmel. Starke
Männer in Lederhosen haben ihn aufgestellt. Die Blasmusik spielt, Frauen tragen
ihre Festtagstracht. Es ist eine Region der Feste und der Festivals, unzähliger
sportlicher Aktivitäten, der gelebten Tradition und des Tourismus. Mit einem
Nachbarn, der anders ist und doch dazugehört: Tirol.
Ottakring musste schmunzeln. Das war wie aus einem kitschigen
Prospekt, und doch verhielt es sich tatsächlich grad so. Er hatte seit seiner
Kindheit in München gelebt, der großen Stadt, von der man sagte, sie sei
eigentlich nichts als ein etwas aus den Fugen geratenes Dorf. Seit er aber hier
im Rosenheimer Land wohnte, zuerst in Neubeuern und jetzt in Rosenheim, hatte
er das herrliche Gefühl, sich nie zuvor so wohl gefühlt zu haben. Es war der
permanente Urlaub auf dem Bauernhof. Gerade fuhr er an dem lebenden Beweis
vorbei. Wenige Meter neben dem Autobahnzubringer, auf dem er fuhr, kämpften
zwei Bussarde mit wildem Flügelschlagen um ihre Beute.
Ups! Beinahe hätte er die Abzweigung zum Voglwirt verpasst. Mit
quietschenden Reifen bog er in einer leichten Rechtskurve ab, bremste scharf
und zockelte auf den Parkplatz vor dem Hotel. Es war Mittag geworden. Der Platz
war fast leer.
»Was ist denn hier los? Sind die alle beim Skifahren?«, fragte er
den freundlichen Flugbegleiter.
Der Mann an der Rezeption hob die Schultern. »Abgereist«, sagte er.
Dann tippte er drei Zahlen in die Telefonanlage. »Er ist hier, Herr
Speckbacher«, gab er weiter. Dazu legte er die Stirn in Falten, als ob er
Schwierigkeiten hätte, sich zu verständigen.
»Wieso abgereist?«, wollte Ottakring wissen. Obwohl er ahnte, was
der Grund für den plötzlichen Aufbruch der Hotelgäste sein könnte.
»So ein Todesfall ist tödlich für ein Hotel wie unseres. Es
kursieren die schrecklichsten Gerüchte. Kein Mensch will mehr die Sauna
benutzen. Niemand …«
»Wer will das wissen?«, unterbrach eine ruppige Stimme. Der Rezeptionist
erntete einen vorwurfsvollen
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