Rosentod: Thriller (German Edition)
ist?
Traditionsbedingt.
Von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag hält es ihn selten daheim. Da reizt ihn die fast alleinige Gesellschaft der Dinge, die ihm nachts begegnen. Es ist, als nähme er Besitz von ihnen, indem er sie mit den Augen auffrisst, mit den Fingern betastet, sie beschnuppert und den Geräuschen nachsinnt, die ihnen entfliehen. In diesen Momenten sind sie alle sein.
Schon als Jugendlicher war er nachts aus dem Fenster geklettert, um loszuziehen. Unruhig. Orientierungslos. Erst später hatte er gelernt, sich zielgerichtet zu bewegen, hatte seinen charakteristischen Gang entwickelt, den selbstbewussten Schritten seiner Mutter gleich. Jenen ruhigen Tritt, mit dem sie stets auf ihn zugekommen war, um ihn blutig zu schlagen. Ohne besonderen Hass, mehr mit geschäftsmäßiger Routine. Wie lange das her ist? Tausend Ewigkeiten. Aber der Wundschmerz brennt noch. Unentwegt.
Erst eine beschissene Kindheit, dann der Verlust der Liebsten. So etwas drückt einem schon das Herz ab. Es nagt am Selbstvertrauen. Ekelhaft.
„Scheißdreck.“
Voller Bitterkeit spuckt der Spaziergänger in den Fluss, wendet sich ab und setzt seinen Weg fort. Beobachtet ihn jemand? Ein Blick über die Schulter. Niemand da. Die Nerven. Zeichen von Überlastung. Kein Wunder.
Endlich steht er vor der Montanuniversität. So gern hätte er hier studiert, damals. Wehmütig betrachtet er das ehrwürdige Hauptgebäude mit seinem trapezförmigen, rot gedeckten Dach, den herrlich spitzen Giebeln, den dicken Mauern und dem hohen, respekteinflößenden Portal. Daneben der niedrigere Neubau, der architektonisch gut in den Altbestand eingebunden ist und dessen moderne Fassade er so bewundert. Im gesamten Komplex brennt kein Licht. Passt so.
Ein dumpfes Geräusch.
„Ist da jemand?“
Immer stärkerer Wind. Achselzuckend dreht sich Chefinspektor Joe Maringer um und eilt mit weit ausladenden Schritten und gesenktem Kopf zurück zum Bahnhof.
Im Stadtzentrum jault schrill ein Martinshorn, wird laut und wieder leiser, entfernt sich schließlich ganz.
Gleich danach fällt erneut schwerer Regen.
***
Schummrige Beleuchtung.
Lichtblitze im Minutentakt.
Dazu bassbetonter, stampfender Beat.
Der Chef des Moonlight ist ganz und gar der Musik der 1960er Jahre verfallen. Trotzdem. An den Wochenenden ist es randvoll. Da tanzt sich hier fast die ganze Jugend der Stadt die Seele aus dem Leib.
Mit wippenden Hüften steht Elke Röhm am Tresen, trinkt einen Cocktail und gibt dem Jungen, der sie zum Tanz auffordert, einen Korb.
Derweil schiebt sich der Grazer Kriminalbeamte Bernd Koschinsky durch die dichte Menschenmenge, mustert Frau um Frau und kann sich nicht entscheiden, welche Braut er als erste anbaggern soll.
Unterdessen sitzt 20 Meter weiter links der ganz in Schwarz gekleidete Rauschgiftfahnder Joe Maringer an einem der vielen kleinen Tische am Rand der Tanzfläche, nippt an einem Glas Bier und unterhält sich mit einer Blondine.
An der Theke drängt sich das männliche Publikum. Elke Röhm sieht niemanden darunter, der sie reizen würde. Seufzend telefoniert sie nach einem Taxi, gibt der Kellnerin einen Wink, bezahlt ihre drei Drinks, holt ihren Mantel von der Garderobe und macht sich davon.
Als sie auf dem Parkplatz hinter der Diskothek auftaucht, ist es kurz nach halb drei. Der Boden glänzt und die Luft ist noch feucht, doch es regnet nicht mehr. Grübelnd spaziert die junge Blondine durch die Reihen der abgestellten Fahrzeuge.
Ob der Sohn dieses Sportartikelhändlers einer ist, mit dem sich etwas Ernsthafteres anfangen ließe? Der Junge kommt aus einer großzügigen, vermögenden Familie. Nie wieder jeden Cent zweimal umdrehen müssen. Das wäre doch schon einmal eine ganz gute Basis für eine längere Gemeinschaft von Mann und Frau.
Über Elke prangt ein blasser Mond. Wenn hier bloß nicht so viele Leuchten ausgefallen wären. Man sieht ja fast nichts. Ein Automotor tuckert in der Dunkelheit. Hört sich nicht nach ihrem Taxi an. Wo bleibt es denn? Vor Elke eine riesige Pfütze, der sie mit gerümpfter Nase ausweicht. Leere Pappbecher liegen zu ihren Füßen. Es stinkt nach Bier. Langsam wird ihr doch ein wenig unbehaglich zumute.
Da, aus der Finsternis heraus, eine blitzartige Bewegung. Dazu ein Geräusch, als platze ein Luftballon. Der Faustschlag trifft die junge Frau präzise am Kinn und reißt sie von den Beinen. Sekunden später liegt sie auf dem nassen Asphalt. Eisige Kälte zuckt vom Rücken über die Hüften bis
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