Rosenwahn
würde zurückkommen, daran wollte sie fest glauben. Also hatte sie nur ihre Freundin Aylin gebeten, die eigentlich schon vor einer halben Stunde hatte hier sein wollen, ihr ein wenig zu helfen.
Zur Personalsuche hatte Derya überhaupt keine Lust. Sie verabscheute es, die Bewerber und Bewerberinnen an sich vorüberziehen zu lassen, sich ihre Geschichten anzuhören, genau zu spüren, wann sie nicht ehrlich waren, bei manchen auf den ersten Blick zu erkennen, dass sie nie mit ihnen würde zusammenarbeiten können, sich bei anderen nicht sicher zu sein und nie wirklich zu wissen, wie die Personen sich dann in der konkreten Zusammenarbeit letztendlich verhalten würden. Sie hasste diese Bewerbungsgespräche! Gül musste einfach wieder zurückkommen.
»Son Schiet! Hay Allah !« Wie der Blitz schoss Derya zu dem großen Backofen und riss die Klappe auf. Der Börek leuchtete ihr goldbraun, besprenkelt mit kleinen Punkten von Schwarzkümmel, entgegen und verbreitete einen appetitanregenden, zwiebelwürzigen Duft. »Gerade noch gut gegangen«, seufzte Derya erleichtert. Wo Aylin nur blieb? Sie hätte es wissen müssen, da die Freundin nicht gerade für ihre Zuverlässigkeit bekannt war. Zumal sie diesen Job ohnehin nicht wegen des Geldes tat, eher wegen der Langeweile, unter der sie oft litt. Wie Derya war Aylin in Lübeck aufgewachsen. Sie kannten sich schon seit der Schulzeit. Aylin hatte Innenarchitektur studiert, viele Jahre mit großem Erfolg für eine Hamburger Firma gearbeitet, die Häuser und Wohnungen wohlhabender Leute ausgestattet, und dabei immer aus dem Vollen geschöpft. Viel lieber noch hätte sie das aber für ihre eigenen vier Wände getan und war deshalb auch ständig auf der Jagd nach einem entsprechend situierten Mann. Nach zahlreichen unglücklich endenden Affären hatte Aylin dann endlich das richtige Opfer gefunden: Karl Jochen, genannt Kajott, ein großer, schwerer Gemütsmensch, 15 Jahre älter als sie, Dosenfischfabrikant, eher bodenständig und frei von feiner Lebensart, aber mit Fortüne und Geld.
Es klingelte.
»Na endlich. Hallo, meine Liebe!«
»Ciao, Bella! Lass dich küssen!«
Eine Wolke kosmetischer Düfte hüllte Derya ein, weiche Locken streiften sie, während Aylin ihr zur Begrüßung zwei Küsschen neben die Wangen hauchte. Ihre Freundin sah wie immer aus wie einem Werbefilm entstiegen: die perfekte Figur in ein knappes, sonnengelbes Kleidchen gehüllt, das viel von ihrer glatten, braunen Haut frei ließ und bestimmt nicht billig gewesen war, Finger- und Zehennägel im gleichen Aubergineton wie der Lippenstift lackiert und das offene Haar in schwarzglänzenden Kaskaden frisiert. So fegte sie wie ein Sturm mit ihren goldenen Riemchensandalen in Deryas Flur.
»Sag mal, Aylin, meinst du, du bist so richtig angezogen für die Küchenarbeit?«, fragte Derya, während Aylin ihr hochhackiges Schuhwerk erleichtert von den Füßen streifte.
»Meine Füße!«, stöhnte sie nur.
Fast bereute Derya, ausgerechnet Aylins Angebot zur Mithilfe angenommen zu haben. Bestimmt würde sie gleich nach einem Kaffee verlangen und sich erst einmal ausruhen müssen. Schon ließ sie sich in der Küche erschöpft auf einen Stuhl fallen.
»Bitte, sag doch Alina zu mir. Warum kannst du dir das nicht merken? Du weißt doch, dass alle finden, dass das besser zu mir passt, und Liebes, machst du mir bitte einen Kaffee? Ich brauche erst einmal fünf Minuten für mich.«
Alina – Derya konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, ihre alte Freundin bei diesem Namen zu nennen. Und sie wollte es auch nicht. Aylin hatte immer schon Probleme mit ihrer Herkunft gehabt, fühlte sich bei der Nennung ihres türkischen Namens sofort in die Vorurteilsschubladen ihrer deutschen Mitbürger sortiert und war glücklich, wenn man sie für eine Italienerin hielt. Durch die Heirat mit Kajott hatte sie endlich den ungeliebten Nachnamen Ataman abgelegt und hörte nun auf Alina Krumbehn, was Derya auch nicht gerade schön fand. Außerdem sah Derya keinen Grund, auf ihre türkische Herkunft nicht stolz zu sein.
Während Aylin ohne Punkt und Komma den neuesten Klatsch von sich gab, von ihren Einkäufen und Reiseplänen berichtete, ging Derya im Geiste durch, was alles noch zu tun war. Am besten, sie würde den Couscoussalat und die Walnusssoße selbst zubereiten und Aylin die Dekoration überlassen, denn das konnte ihre Freundin wirklich gut.
Nach einer Viertelstunde, und nachdem sie von Derya mit einer riesigen Schürze versorgt
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