Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Rosenwahn

Titel: Rosenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
war ein begabtes Mädchen, aber zu Hause gab es niemanden, der sie mal gelobt hätte, geschweige denn, mit den Gedanken und Problemen eines Teenagers hier in unserer Gesellschaft umgehen konnte oder sich überhaupt dafür interessiert hätte. Was glauben Sie, wie vielen der sogenannten Problemkindern nur die Wärme und Anerkennung in der eigenen Familie fehlt! Die überforderten Eltern kommen mit dem Spagat zwischen den Kulturen selbst nicht klar und zu leiden haben es die Kinder. Sie können sich nicht vorstellen, wie glücklich die sind, wenn man ihnen nur mal anerkennend über den Kopf streicht!« Energisch schnippte die Lehrerin die Asche von der Zigarette. »Aber ich schweife ab. Wir hatten schon ein besonderes Vertrauensverhältnis, Meral und ich. Sie war immer ein ziemlich ruhiges, aber fröhliches Mädchen gewesen. Sie ging ganz normal angezogen, Jeans und T-Shirt, kein Kopftuch und schon gar kein langer Mantel. Vom Typ her eher bescheiden. Irgendwann in der 12. Klasse hatte ich plötzlich den Eindruck, dass sie noch ruhiger war als früher, viel weniger lachte, dass es ihr irgendwie nicht gut geht, und stellte sie zur Rede.« Noch in der Erinnerung daran schüttelte Simone Kaltenbach verwundert ihren Kopf. »Sie wollte erst nicht raus mit der Sprache, aber ich habe nicht lockergelassen. Sie hatte sich in einen deutschen Jungen aus der Schule verliebt. Das war so ein Schüchterner, ein bisschen Einzelgängerischer. Irgendwie haben ihre Eltern davon Wind bekommen. Und kurz darauf hat Meral die Beziehung zu dem Jungen wohl ziemlich abrupt beendet. Der muss total geplättet gewesen sein, hab ich gehört. Sie hat mir jedenfalls nicht ihre Gründe genannt, aber ich nehme an, der häusliche Stress war ihr zu groß. Und dann kam der größte Schock für sie.« Die Lehrerin schwieg einen Moment. »Ihre Eltern eröffneten ihr, dass sie einen Cousin in der Türkei heiraten sollte. Für die Sommerferien war die Verlobung geplant. Das Mädchen wusste nicht mehr ein noch aus. Wissen Sie, Meral hatte einen Fehler: Sie wollte alles perfekt machen. Sie wollte die perfekte Schülerin sein, die perfekte deutsche Freundin in ihrer Clique, die perfekte türkische Tochter für die Eltern. Das ist ein völlig unmöglicher Spagat. Das Mädchen wurde depressiv. Es war beängstigend.«
    »Aber sie ist doch von zu Hause abgehauen, wie ihre Schwester sagte.«
    Die Lehrerin nickte und drückte langsam ihre Zigarette im Aschenbecher aus. »Nachdem sie 18 geworden war. Da hat sie plötzlich so eine Art Schnitt gemacht in ihrem Leben. Nach langem Ringen mit sich selbst ist sie schließlich von zu Hause weggegangen. Und ich hab ihr noch zugeraten! Heute zweifle ich, ob Meral wirklich stark genug war für diesen Schritt. Sie hat furchtbar gelitten unter der Trennung von ihrer Familie, hat sich zwar ins Leben gestürzt wie eine Wilde, ist ausgegangen mit den anderen, hat getanzt, getrunken, doch im Grunde ging es ihr ziemlich schlecht. Sie konnte nicht mehr mit ihrer Familie leben, das hatte sie überdeutlich zu spüren bekommen – aber auch nicht ohne sie. Und dann war sie plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.« Mit verschränkten Armen saß Frau Kaltenbach auf ihrem Stuhl und starrte nach draußen. »Sie fehlte ein paar Tage unentschuldigt in der Schule, und als ihre Freundinnen auch nichts über ihren Verbleib wussten, sind wir zur Polizei gegangen.«
    »Hatten Sie denn eine Vermutung, was mit ihr passiert sein könnte?«
    »Na ja, ihre Familie, bei der wir zuerst waren, als wir nach Meral suchten, war völlig unkooperativ und tat total desinteressiert. Auch wenn Sie jetzt denken, dass ich voller Vorurteile bin: Natürlich war mein erster Gedanke, dass man das Mädchen in die Türkei entführt hat oder sie einem Ehrenmord zum Opfer gefallen ist. Aber Ihre Kollegen haben damals keine Anzeichen dafür entdecken können. Vielleicht finden Sie ja jetzt raus, was passiert ist, auch wenn es eigentlich schon zu spät ist.«

     
    Wieder folgte auf einen sonnigen, strahlenden Tag ein angenehm milder Abend. Angermüller war nicht noch einmal ins Büro zurückgekehrt, hatte sich nur von Jansen am Tor I vorm Behördenhochhaus absetzen lassen, um sein dort abgestelltes Fahrrad zu holen, und sich dann in den Feierabend verabschiedet, da er heute Abend Astrid zum Essen erwartete. Sie hatten vereinbart, dass jeder für sich wohnte in den knapp drei Wochen, die Steffen und David verreist waren, und sie sich nur ab und zu trafen, was auch ziemlich

Weitere Kostenlose Bücher