Rosenwahn
öffnete. Barfuß, in einem schlabberigen T-Shirt und Boxershorts, die langen, dunklen Haare verwühlt, stand er vor Angermüller und musterte ihn aus vom Schlaf verquollenen Augen.
»Was?«, fragte er genervt. Er hatte fast Angermüllers Größe und auf seinem schwarzen T-Shirt prangten dicke, weiße Buchstaben. › Polis ‹, las der Kommissar.
»Guten Morgen. Ich wollte eigentlich zu Frau Derin …«
Wortlos ließ der andere ihn eintreten, schloss die Tür wieder, schob sich an ihm vorbei und verschwand hinter einer der Zimmertüren, die vom Flur abgingen. Angermüller blieb allein zurück und kam sich ein bisschen blöde vor, wie er da in der fremden Wohnung mit seiner Flasche Prosecco herumstand.
»Georg! Guten Morgen! Schön, dass du da bist! Komm doch zu mir in die Küche. Ich muss nur noch ein paar Sachen einpacken und dann können wir gleich los!« In ihrer gewohnten Munterkeit und mit vielen Worten winkte ihm die Nachbarin aus der offenen Tür am Ende des Flurs.
»Guten Morgen«, sagte auch Georg und machte Anstalten, seine Schuhe an der Garderobe auszuziehen.
»Lass deine Schuhe ruhig an«, rief Derya. »Wir starten doch gleich.«
Angermüller tat wie ihm geheißen und betrat die Küche, in der es ganz wunderbar nach frisch Gebackenem duftete. Der ihm bereits wohlbekannte Korb stand auf dem Tisch, ebenso eine Kühltasche und daneben eine bunt karierte Decke. Derya stellte zwei Thermoskannen in den Korb und sah sich suchend um.
»Ich hoffe, ich habe nichts vergessen. Ich hasse das, wenn man alles schön geplant hat und dann plötzlich feststellt, irgendwas Wichtiges steht noch zu Hause im Kühlschrank! Und, hast du gut geschlafen? Hast du gute Laune? Und das Wichtigste: Hast du Hunger?«
»Darf ich erst mal eine Frage stellen?«, unterbrach Georg ihren Redefluss und überreichte ihr die Proseccoflasche.
»Oh, vielen Dank. Die kommt gleich mit in die Kühltasche. Und dafür müssen natürlich die richtigen Gläser mit.« Derya wirbelte durch die Küche hinüber zum Schrank und sprach dabei immer weiter. »Außerdem, Georg, mich musst du immer einfach unterbrechen. Ich quatsche dich sonst rammdösig!«
»Wer war das eben an der Tür?«
Sie hielt inne und sah ihn einen Moment erstaunt an, dann legte sie den Kopf schief und grinste. »Das war mein neuer Lover, wer sonst?«
Als Georg ein ziemlich verblüfftes Gesicht machte, lachte Derya laut los. »Das hast du jetzt nicht erwartet, was?«, prustete sie. »Entschuldige, ich bin manchmal sehr albern. Das war natürlich Koray, mein Sohn!«
»Ich wusste ja gar nicht, dass du ein Kind hast«, meinte Georg überrascht. »Oder hast du fünf und mir nur noch nichts davon erzählt?«
»Da sei Allah vor! Der eine reicht!«, lachte Derya. »Nein, Koray ist toll. Er ist gerade 17 geworden und ist ein ganz Lieber. Aber manchmal finde ich es echt schwierig, als schwache Frau allein mit so einem halbwüchsigen Bengel fertig zu werden.«
Obwohl Georg sie erst ein paar Tage kannte, wirkte Derya ganz bestimmt nicht wie ein hilfloses weibliches Wesen auf ihn. Sie reichte ihm den Korb und die Kühltasche und klemmte sich die Decke unter den Arm.
»Gut, dann haben wir das auch geklärt und können ja aufbrechen zu meinem Lieblings-Picknick-Platz.«
Im Flur klopfte Derya an die Zimmertür ihres Sohnes. »Tschüss, Kleiner! Weiß noch nicht, wann ich wiederkomme. Frühstück steht auf dem Tisch. Schönen Tag dir!«
Statt einer Antwort war nur ein müdes Brummen zu vernehmen.
Auf der Gegenfahrbahn herrschte reger Verkehr, als sie Lübeck in südlicher Richtung verließen. Wahrscheinlich waren die meisten Leute zum Einkaufen in die Stadt unterwegs. Derya lenkte ihren Lieferwagen ein Stück am Ratzeburger See entlang und bog dann nach Westen ab. Zwischen den sanften Erhebungen wechselten sich kleine Mischwälder, Wiesen und Felder ab, vereinzelt sah man Bauernhöfe aus rotem Klinker gemauert, mit Reet gedeckt, und an manchen Stellen leuchtete ihnen das unvergleichliche Gelb von Rapsfeldern entgegen. Hin und wieder glitzerten kleine Seen hinter den Bäumen.
»Also hier bin ich ewig nicht mehr gewesen! Jedenfalls nicht privat«, meinte Georg eher zu sich selbst, während er entspannt die Lauenburgische Landschaft draußen an sich vorüberziehen ließ. »Da wohnt man nur eine halbe Stunde von dieser traumhaften Natur entfernt und schafft’s einfach nicht, mal rauszukommen.«
»Ich gönne mir das am Wochenende öfter mal. Manchmal auch mit dem Fahrrad, da kann
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