Rosenwahn
man nämlich wunderbar am Kanal lang fahren. Und jetzt sind wir auch gleich da.«
Inzwischen wusste Georg, dass Derya nur ihn zum Picknick eingeladen hatte, was ihn ein wenig wunderte. Schließlich kannten sie sich erst ein paar Tage. Sie hegte ja hoffentlich keine Absichten bezüglich seiner Person, ging es ihm durch den Kopf. Einerseits schmeichelte ihm dieser Gedanke natürlich, andererseits war seine emotionale Befindlichkeit momentan in einem ziemlichen Chaos. Er brauchte nicht noch ein neues Problem.
Langweilig würde ihr Ausflug bestimmt nicht werden, denn Derya schien der Gesprächsstoff nie auszugehen. Außerdem hatte sie auch noch ein Federballspiel und einen Bumerang eingepackt. Sie fuhren einen Hügel hinunter. Direkt vor ihnen zwischen den Wiesen erstreckte sich das lange Band des Elbe-Lübeck-Kanals, der sich von der Hansestadt bis zur Elbe nach Lauenburg hinzog.
»So. Das ist er, mein Lieblingsplatz. Ist das nicht wunder-, wunderschön hier?«
Friedlich ruhte der Kanal in seinem Bett, Bäume blühten an den sonnenbeschienenen Ufern und gegenüber aus dem kleinen Wäldchen hörte man einen Kuckuck rufen. Nicht weit vom Wasser breiteten sie die Decke aus. Derya stellte Korb und Kühltasche im Schatten eines Baumes ab. »Leg dich einfach in die Sonne, Georg. Ich kümmere mich jetzt um das Frühstück.«
»Das hört sich gut an. Ich hab einen Riesenhunger.«
Bald darauf speisten sie, jeder auf einem Klapphocker mit Blick aufs Wasser sitzend, redeten, tranken süßen schwarzen Tee, beobachteten eine Entenfamilie im Schilf und ließen Boote an sich vorüberziehen. Georg fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr. Auf einer blauweiß karierten Tischdecke lockten Schafskäse und Oliven, Gurken, Tomaten, Rührei, frisches Fladenbrot, ein Obstsalat und mit Marmelade gefüllte Eierpfannkuchen.
»Und, wie schmeckt dir unser türkisches Frühstück?«
»Mmh, es schmeckt ganz wunderbar! Wie heißt die hier noch einmal?«, fragte Georg, während er mit der Gabel nach einem weiteren Stück der würzigen Knoblauchwurst angelte, die Derya in Stücke geschnitten und gebraten hatte.
»Das ist Sucuk . Ohne die ist für meinen Vater ein Frühstück kein Frühstück.«
Auch ein paar Dolma , mit Rosinenreis gefüllte Weinblätter, und eine Börek -Pastete mit Spinat und Käse, die nicht unbedingt zu einem türkischen Frühstück gehörten, hatte Derya mitgebracht. Der Rosinenreis mit Pinienkernen in den Dolma , mit Zimt, Nelke und Piment gewürzt, mutete Georg sehr orientalisch an, aber die Röllchen mundeten, in dicken, cremigen Joghurt getaucht, einfach köstlich. In seine sinnenfrohe Schlemmerei mischte sich plötzlich der Gedanke an Astrid, die das Frühstück längst beendet und ihm strenge Blicke zugeworfen hätte. Selbstvergessen nahm er noch eines von den Dolma.
»Ja, unser türkischer Joghurt ist schon eine wahre Wonne«, seufzte Derya und leckte einen Rest von ihrem Finger, »aber leider schmeckt er vor allem so gut, weil er verdammt fett ist. Zehn Prozent!«
Derya aß trotzdem weiter von der weißen Köstlichkeit und genau wie Georg nahm sie immer wieder hiervon und davon und wollte noch nicht aufhören. Es war ihr anzusehen, dass auch sie jeden Bissen genoss. Wieder musste Angermüller über das landläufige Bild der schüchternen, stillen Türkin nachdenken, das die meisten Leute im Kopf hatten. Da hinein passte Derya mit ihrem lebenslustigen, lockeren Wesen ganz und gar nicht. Er konnte das schlecht einordnen, denn bisher hatte er so gut wie keine privaten Begegnungen mit deutsch-türkischen Mitbürgerinnen oder Mitbürgern gehabt. In diese Betrachtungen versunken, ließ er geistesabwesend seinen Blick auf Derya ruhen. Die bedeckte plötzlich ihr Haar mit den Händen.
»Bitte guck nicht so! Ich weiß, das sieht unmöglich aus!«
»Wieso? Was ist denn?«
»Ach, Georg! Jetzt tu nicht so! Ich weiß doch, dass deinesgleichen ein gutes Gefühl für Ästhetik hat. Diese Farbe ist doch das Letzte!«
Er verstand zwar nicht ganz Deryas Hinweis zum Thema Ästhetik, aber jetzt sah er, dass Deryas goldblonde Locken in der Sonne karottenrot leuchteten. Ein wenig unnatürlich war der Farbton schon, aber er passte eigentlich ganz gut zu ihrer leicht olivbraun getönten Haut und der weißen Bluse.
»Sieht doch gar nicht so schlecht aus.«
»Ja, meinst du?«, fragte sie zweifelnd. »Na ja, sollte eigentlich kupfer sein. Hat irgendwie nicht funktioniert. Nächste Woche färbe ich sie wieder um. Was ich übrigens
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