Rosenwahn
eine Schnackerin, das Mädchen kann reden wie ein Wasserfall, und das Wort Schüchternheit kennt sie nicht. Und was das andere Geschlecht anbetrifft«, fuhr sie etwas leiser fort, »ist Ruben ein Mönch und die Kleine keine Kostverächterin.«
»Du musst nicht immer alles über das Liebesleben unserer beiden verraten und außerdem«, meinte Ronald in seiner ruhigen, humorvollen Art, »vielleicht weißt du ja gar nicht alles von ihnen.«
»Ja, ja, mein weiser Mann«, murmelte Friede als Antwort und tätschelte Ronalds Schulter. Derya und Georg bedankten sich für den schönen Nachmittag und wurden von ihren Gastgebern mit einer kräftigen Umarmung verabschiedet. Lange sahen sie dann im Rückspiegel Friede und Ronald Arm in Arm am Tor stehen und zum Abschied hinterherwinken. Die beiden waren fast gleich groß, sahen erstaunlich jung aus und schienen voller Energie zu stecken. Ein beeindruckendes Paar, die beiden, dachte Georg, passen irgendwie gut zusammen. Als ob Derya seine Gedanken erraten hätte, sagte sie plötzlich: »Ach ja, sind das nicht tolle Menschen? Die sind seit 30 Jahren verheiratet und immer noch glücklich, haben zwei klasse Kinder, dieses tolle Haus und sind einfach echt gute Freunde.«
»Doch, sie sind wirklich sehr sympathisch.«
»Für mich sind Friede und Ronald das ideale Paar. Ein Traumpaar. Mein Vorbild für eine perfekte Beziehung«, schwärmte Derya. »Und Friede hat mir damals unheimlich geholfen, hat mir einfach so den Job gegeben, obwohl ich keine Ahnung hatte von Büroarbeit, Computer und so. Sie hat mir einfach vertraut. Sie hat eine wahnsinnige Menschenkenntnis und ist eine sehr kluge Frau.«
»Was macht Ronald eigentlich beruflich?«
»Ronald war Lehrer, hat aber ziemlich früh damit aufgehört. Hat ihn zu sehr frustriert. Er ist irgendwie ständig bei der Schulbehörde angeeckt. Die vielen Vorschriften, die vielen Einschränkungen, sagt er. Dabei kann er ganz toll mit Menschen, auch mit Kindern.«
»Tja, so auf den ersten Blick würde ich auch denken, dass er ein toller Lehrer sein könnte.«
»Aber ich glaube, er hat seine Entscheidung nicht bereut. Es hat ihm damals wohl besser gefallen, seine eigenen Kinder großzuziehen. Jedenfalls war er schon zu Hause, als wir uns kennenlernten. Das war in der Zeit kurz nach Korays Geburt. Friede hat halt auch einfach besser verdient und er hat den Hausmann gemacht. Als die Kinder groß waren, ist es dabei geblieben.«
»Ach, deshalb auch Hotel Papa!«
»Genau. Friede hat’s nicht so mit Kochen, Putzen und Betuddeln. Dafür ist Ronald zuständig. Und außerdem baut und bastelt er wie ein Weltmeister, hast du ja mitgekriegt. Inzwischen ist Ronald ja auch schon 60, eine ganze Ecke älter als Friede. Aber bis auf seine weißen Haare sieht er nicht danach aus. Die wirken beide viel jünger, finde ich.«
»Das stimmt«, bestätigte Georg.
»Jedenfalls ist Ronald unheimlich engagiert, in irgendwelchen Projekten, was weiß ich, irgendwie politisch und für die dritte Welt, auch kulturell, spielt selbst Flöte – der macht so viele Sachen, der hätte gar keine Zeit für einen Job.«
»Irgendwie beneidenswert.«
»Ja. Deshalb wirkt der wahrscheinlich auch so total ruhig und zufrieden.«
Sie schwiegen eine Weile, während sie über leere Landstraßen durch die üppige Mailandschaft fuhren. Dann fragte Georg: »Na, hat dir Friede denn weiterhelfen können?«
»Sie hat versucht, mich zu beruhigen, genau wie du. Irgendwelche Adressen von Freunden oder so konnte sie mir leider auch nicht sagen. Aber sie hat mir ein Café genannt, in dem sie Gül und ihre Freundinnen vor einem halben Jahr zufällig getroffen hat. Sie hatte den Eindruck, dass das so eine Art Treffpunkt von denen ist. Seitdem hat sie Gül auch nicht mehr gesehen. Aber Friede meint, dass Gül sich vielleicht irgendwie schuldig fühlt für das Verschwinden ihrer Freundin. Kann sein, dass sie Selma bestärkt hat, ihr eigenes Leben zu leben, denn die war ja ein ganz wohlerzogenes Mädchen, mit Kopftuch und so. Und weil sich in diesen Tagen das Verschwinden ihrer Freundin jährte, ist bei Gül das alles wieder hochgekommen. Friede sagte auch, ich sollte noch eine Weile abwarten. Sie kann sich vorstellen, dass Gül plötzlich wieder auftaucht und tut, als ob nichts gewesen ist.«
»Dann würde ich das an deiner Stelle tun. Friede ist schließlich Psychologin und kennt sich mit Menschen aus, oder?«
Derya sah auf die Fahrbahn und nickte stumm.
»Und wenn deine Gül bis Mitte der
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