Rosenwahn
umbringen als diesen jungen Mann zu heiraten. Sie haben gemeinsam überlegt, ob Selma fliehen und sich irgendwo verstecken sollte. Und plötzlich war sie weg, ohne Gül Bescheid gegeben zu haben.«
»Was glaubt sie denn, was mit ihrer Freundin passiert sein könnte?«
»Ich habe den Eindruck, Gül schreckt irgendwie davor zurück, sich das konkret auszumalen. Aber wahrscheinlich hält sie von Selbstmord über Entführung bis Ehrenmord alles für möglich.«
»Und weshalb hast du mit Gül gestritten?«
»Vor zwei Wochen war der Jahrestag von Selmas Verschwinden und Güls Stimmung wurde immer mieser. Wie gesagt, sie redet ja sowieso nicht so viel. Und als ich irgendwann nachbohrte, sagte sie wieder, sie wüsste genau, dass Selma nicht abgehauen ist. Die hätte das nie getan, ohne sie einzuweihen. Sie würde uns allen noch beweisen, dass sie recht hat.«
»Ja, aber das ist doch noch kein Streit.«
»Ich habe nur gesagt, sie soll keine Dummheiten machen. Da ist sie total ausgerastet. So hab ich sie noch nie erlebt. Sie schien wahnsinnig unter Druck zu stehen. Wir haben uns richtig angebrüllt.«
Aus Deryas Erzählungen folgerte Georg, dass ihre Mitarbeiterin wohl eine etwas verstörte junge Frau war, die durch das Verschwinden ihrer Freundin alle möglichen Ängste entwickelt hatte. Vielleicht war ihr jetzt alles zu viel geworden und sie hatte sich deswegen einfach zurückgezogen.
»Ich finde, das hört sich irgendwie so an, als ob das Mädchen eine persönliche Krise durchmacht. Wahrscheinlich wäre eine Therapie bei ihr angebracht. Wieso glaubst du eigentlich, dass ich dir helfen könnte?«
»Therapie schön und gut, aber dafür muss sie erst einmal wieder auftauchen und schließlich bist du bei der Kripo. Ich dachte, da kannst du vielleicht ein paar Nachforschungen anstellen.«
Georg musste lachen. »So einfach ist das auch nicht, Frau Nachbarin. Ich bin kein Privatdetektiv, und meine Abteilung kommt sowieso immer erst dann zum Zug, wenn es eine Leiche gibt – und das wollen wir doch erst einmal außen vor lassen, oder?«
Erschrocken nickte Derya.
»Hat Gül denn keine Freunde oder Freundinnen in Lübeck, wo du dich nach ihr erkundigen könntest?«
»Natürlich hat sie irgendwelche Leute, die sie trifft. Wie eng sie mit denen ist, das weiß ich nicht. Ich habe auch mal die eine oder den anderen gesehen, wenn sie abgeholt wurde, aber ich kenne die alle nicht.« Plötzlich hellte sich Deryas sorgenvolles Gesicht auf. »Ich habe eine geniale Idee: Gül ist durch die Vermittlung von Friede Bartels zu mir gekommen. Das ist eine alte Freundin von mir. Und weißt du was: Zufällig wohnt die gar nicht weit von hier. Lieber, lieber Georg, was hältst du von einem Besuch bei ihr? Friede ist Psychologin, weißt du, macht auch ehrenamtliche Arbeit im Krisenzentrum für Migrantinnen. Vielleicht kann sie ja einen Tipp geben zu Güls Freundeskreis, oder sie weiß mehr über die Familie. Und dann könnten wir beide ja allein weiterrecherchieren. Und außerdem …«
Derya hatte offenkundig Georgs Einsatz schon genau geplant und war nicht um Argumente verlegen, um sein Einverständnis zu erlangen. »Außerdem lohnt sich der Besuch auf dem Bartels-Hof in jedem Fall. Friede und Ronald, die haben alles so wunderschön hergerichtet! Das restaurierte Bauernhaus, Einrichtung, Ambiente – so was interessiert dich doch bestimmt. Und dann sind die beiden unheimlich nett. Und ich habe noch einen Käsekuchen im Auto, dann können wir uns gleich bei denen zum Kaffee einladen!«
Derya war von ihrem Einfall regelrecht begeistert. Da sie scheinbar in ernster Sorge um ihre Mitarbeiterin war und er für den Rest des Tages ohnehin keine weiteren Pläne hatte, ließ Georg sich schließlich breitschlagen, Derya zu ihren Freunden zu begleiten, was seine Nachbarin mit einer freudigen Umarmung quittierte.
»Wie schön, dass ihr uns besuchen gekommen seid! Wirklich, das ist eine große Freude. Nicht wahr, Ronald?«
»Ja, das finde ich auch«, nickte Friedes Mann und hob seinen leer gegessenen Teller in die Höhe. »Sonst hätte ich heute nicht so einen wunderbaren Käsekuchen bekommen. Wirklich, Derya, einfach wunderbar ist der! Warum hab ich nicht dich geheiratet?«
Derya lachte und schnitt ihm noch ein weiteres großes Stück ab. »Ach, Ronald! Weil du schon eine ganz wundervolle Frau hattest, als wir uns kennenlernten!«
»Aber Kuchen backen kann Friede nicht so gut wie du.«
»Dafür kannst du das aber selbst ganz prima. Das
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